Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Leben, die Liebe, und der ganze Rest

Mein Leben, die Liebe, und der ganze Rest

Titel: Mein Leben, die Liebe, und der ganze Rest
Autoren: Dagmar Hoßfeld
Vom Netzwerk:
Herz.
    „Ein halbes Jahr schaff ich“, sage ich voller Überzeugung und kann leider nicht verhindern, dass ich schon wieder anfange zu heulen. Mist, Mist. Warum hab ich eigentlich so nah am Wasser gebaut?
    Phillip nimmt auch noch meine andere Hand.
    „Wir können jeden Tag chatten“, sagt er. „Mailen, skypen, telefonieren. Dein Laptop hat doch eine Webcam, oder? Dann können wir uns sogar sehen! Und ich schick dir jeden Tag ein Foto oder ein Video, wo ich gerade bin und was ich gemacht hab!“
    „Klingt gut“, sage ich tapfer und schlucke die letzten Tränen hinunter, die sich in meine Kehle drängen.
    Ein halbes Jahr? Wie schnell geht ein halbes Jahr vorüber, wenn man auf jemanden wartet? Keine Ahnung … Ich weiß überhaupt noch nicht, wie das wird und wie es sich anfühlt – woher auch? – , aber das halte ich aus. Ich muss es aushalten! Und ich weiß, dass ich es kann.
    Wir trinken unsere Cola aus, bezahlen und schlagen den Weg ein, der zur Entenbrücke führt. Phillip sagt, dass er eine Überraschung für mich hat, aber er will mir nicht verraten, was es ist. Erst auf dem höchsten Punkt der Brücke greift er in seine Tasche und zieht etwas heraus. Eine dunkelblaue Schmuckschachtel aus mattem Karton. Reflexhaft greife ich an meinen Hals. Ob er bemerkt hat, dass ich seine Kette nicht mehr trage? Gleich heute Abend lege ich sie wieder um. Und ich nehme sie nie wieder ab. Nie wieder, ich schwör’s! Oder will er mir vielleicht eine neue schenken?
    „Mach auf“, sagt er und hält mir die kleine Schachtel hin.
    Sie ist schwerer, als ich dachte. Und sie enthält kein Schmuckstück. Das heißt, irgendwie doch. Auf hellblauem Samt liegt ein Vorhängeschloss aus poliertem Messing und daneben ein flacher, silberner Schlüssel.
    „Ein Schloss?“, frage ich.
    Phillip nickt. „Dreh’s mal um!“
    Vorsichtig nehme ich das Schloss aus seinem Samtbett und drehe es in meiner Hand um. Mir stockt der Atem, als ich die Gravur sehe. Zwei kleine, verschlungene Herzen sind in das Metall eingeprägt; darunter stehen zwei Namen und das Datum von heute.
    „Conni und Phillip“, lese ich vor. Meine Stimme klingt ganz rau. Ich räuspere mich. „Was bedeutet das?“
    Phillip schiebt mir vorsichtig eine Haarsträhne hinters Ohr.
    „Das ist eine Art Symbol“, erklärt er mir, „ein Liebesschloss. Wir machen es hier an der Brücke fest und werfen den Schlüssel ins Wasser. Niemand wird ihn finden. Auf diese Weise bleiben unsere Namen für immer zusammen.“
    Ist das süß!! Ich umfasse das Schloss mit meiner Hand und falle Phillip um den Hals. Und diesmal weine ich nicht! Das heißt, ein bisschen schon. Aber nur vor Glück.
    Gemeinsam suchen wir einen besonders schönen Schnörkel in dem Brückengeländer aus, an dem unser Schloss für den Rest unseres Lebens hängen soll. Phillip klinkt es ein, wir drücken es zusammen zu, und ich ziehe den Schlüssel ab.
    „Wollen wir ihn wirklich ins Wasser werfen?“, zögere ich.
    „Du kannst ihn auch behalten, und wenn ich zurück bin, nehmen wir das Schloss wieder ab“, schlägt Phillip vor. „Oder wir lassen es so lange hängen, bis wir alt und grau sind und uns nicht mehr daran erinnern können, wo wir den Schlüssel versteckt haben, weil wir beide Alzheimer haben.“
    Ich muss lachen. „Bis dahin ist das Schloss längst zugerostet!“
    Phillip küsst mich.
    „Nein“, sage ich schließlich. „Wir werfen ihn ins Wasser!“
    „Sicher?“
    „Sicher!“
    Phillip umfasst meine Hand, in der ich den Schlüssel halte. Wir beugen uns über das Geländer, gucken uns an und öffnen gleichzeitig unsere Hände. Der Schlüssel fällt heraus. Lächelnd schauen wir zu, wie er mit einem kaum hörbaren Platsch im Wasser eintaucht und schließlich auf den Grund des Teichs sinkt.
    Wir bleiben noch eine Weile stehen, dann streicheln wir zum Abschied noch einmal über unser Schloss, das niemand mehr abnehmen kann, und gehen langsam nach Hause.
    *
    In den nächsten Tagen hat Phillip wenig Zeit für mich, aber das macht mir nichts aus. Ich fühle mich gut, weil ich weiß, dass wir uns lieben. Daran kann auch die halbe Erdumrundung nichts ändern, die uns bald voneinander trennen wird. Sechs Monate. Einhundertzweiundachtzigeinhalb Tage und Nächte. Ein halbes Jahr …
    Weil das Wetter so schön ist, beschließe ich, endlich mal wieder schwimmen zu gehen. Leider hat die Schwimmhalle über das Sommerhalbjahr geschlossen. Es bleibt mir also nichts anderes übrig, als zum Freibad zu radeln, das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher