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Mein grosser Bruder

Mein grosser Bruder

Titel: Mein grosser Bruder
Autoren: Berte Bratt
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jemand versuchte, mich auszukleiden. Ich öffnete die Augen und sah Elsa.
    Überdeutlich steht nur eine einzige Sache vor mir. Als ich ausgezogen im Bett lag und Elsa mir Gesicht und Hände gewaschen und mir etwas zu trinken gegeben hatte, da fragte sie leise, aber deutlich: „Vivi, ich will dich nicht plagen, ich sehe ja, daß du hohes Fieber hast. Aber Johannes’ wegen mußt du versuchen, einen Augenblick zu denken und bloß diese eine Frage zu beantworten: Ist dir etwas geschehen?“
    Da lächelte ich. Jedenfalls behauptet Elsa, daß ich es tat. Und antwortete: „Nein, Elsa, niemand hat mir etwas angetan. Beinahe – aber es ist nichts passiert. Falls es das ist, was er wissen will.“
    Das Reden strengte mich an.
    Aber es war gut, daß ich es aussprechen konnte. Nun konnte ich in die wohltuende Schlaffheit zurücksinken.
    Das Fieber raste zwei Tage in meinem Körper. Der Arzt kam und gab mir Penicillinspritzen. Ich atmete schwer, und einige Male klagte ich über Schmerzen in der Seite. Ich hatte eine Lungenentzündung bekommen.
    Aber nach zwei Tagen war das Fieber gefallen, und meine Gedanken wurden wieder klar, selbst wenn ich noch zu müde war, den Kopf von den Kissen zu heben.
    Als ich wieder denken konnte, kamen alle meine Fragen hervor. Elsa antwortete bereitwillig. Naß wie eine ertrunkene Ratte wäre ich heimgekommen. Johannes hatte mir zunächst ein paar Kleidungsstücke ausgezogen und mich mit Wolldecken und Wärmflasche ins Bett gesteckt.
    Dann hatte er im Theater angerufen. Und Elsa, die zum Glück nur im ersten Akt beschäftigt war, war gerannt gekommen, sobald sie die Schminke herunter gehabt hatte.
    Das Gastbett war vom Boden geholt, Betten aus der Truhe genommen, etwas Heißes zum Trinken gebraut, die Temperatur gemessen und unmittelbar danach der Doktor gerufen worden. Es sieht ja immer etwas beängstigend aus, wenn das Quecksilber zielbewußt gegen vierzig Grad hochklettert.
    Elsa schlief auf dem Feldbett in meinem Zimmer und pflegte mich wie eine Krankenschwester. Sie sollte im nächsten Stück nicht mitspielen und hatte also keine Proben.
    Die paar Stunden, die sie am Abend weg war, saß Johannes an meinem Bett. An einem Abend fragte ich ihn: „Bekommst du denn dein Essen, Johannes? Kocht Elsa für dich?“
    „Doch, ja, Vivi, Elsa ist rührend und sehr geschickt. Sie kocht und wäscht auch ab, und – ja, sie tut alles Mögliche.“
    „Wie gut, daß du sie angerufen hast.“
    „Hast du Schmerzen, Vivi?“
    „Nein, ich bin bloß müde. Du, Johannes, du brauchst wirklich nicht bange zu sein, es ist nichts passiert, verstehst du.“
    „Denke nicht mehr daran, Schwesterlein.“
    „Weißt du, Johannes, wenn du so ,Schwesterlein’ zu mir sagst, dann… dann bist du nicht nur brav und pflichtgetreu – dann klingt es, als ob du mich liebhättest…“
    „Als ob ich dich liebhätte? Aber du liebe Zeit, Vivi, hast du denn eine Sekunde daran gezweifelt? Ich habe dich unbeschreiblich lieb, das mußt du doch wissen.“
    Plötzlich konnte ich nicht reden. Ich hatte einen Kloß im Hals, und es dauerte eine Weile, ehe ich ihn herunterschlucken konnte. Es glückte schließlich.
    „Johannes, Elsa hat mich auch lieb, sonst würde sie nicht all das für mich tun.“
    „Ja, darauf kannst du dich verlassen.“
    „Dann sind es zwei, die mich liebhaben, Johannes, ehrlich lieb, weil ich eben ich bin, und nicht nur ein weibliches Wesen mit Sex. Eben nur, weil ich Vivi bin.“
    „Meine liebe, kleine Schwester…“
    Jetzt war es Johannes, der eine belegte Stimme hatte.
    Langsam, aber sicher ging es mir besser.
    Sie paßten aber auch so auf mich auf, daß es manchmal kaum erträglich war. Zuerst wurde ich gezwungen, eine ganze Woche im Bett zu bleiben. Der Arzt, Johannes und Elsa verschworen sich auf die abscheulichste Weise gegen mich. Als ich endlich gnädigst Erlaubnis erhielt, mich zu erheben, führten Elsa und Johannes mich zu einem Lehnstuhl, als ob ich eine gebrechliche Urgroßmutter wäre.
    Ich durfte eine Stunde darin sitzen. Dann wurde ich trotz heftiger Proteste wieder ins Bett beordert. Johannes trug mich hinüber und lachte über meine matten Versuche, mich auf die eigenen Beine zu stellen.
    „Na, du Zappelphilipp, halte deine Pfeifenstiele ruhig, sonst brechen sie noch ab.“
    „Pfeifenstiele, du Scheusal! Ich habe hübsche Beine!“
    Johannes lachte, und ich fuhr zusammen. Wann hatte Johannes lachen gelernt, so herzlich und gelöst?
    „Elsa, hör dir sie an! Sie glaubt, daß sie hübsche
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