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Titel: iBoy
Autoren: Kevin Brooks
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    Die Formel zur Berechnung der Fallgeschwindigkeit eines Gegenstands aus einer vorgegebenen Höhe lautet: v =

(2   g h), dabei ist v = Geschwindigkeit, g = Fallbeschleunigung (9,81   m/s²) und h = Höhe.
     
    Das Handy, das meinen Schädel zertrümmerte, war ein 32GB iPhone 3GS.   Es wog 135   g, besaß die Maße 115,5 x 62,1x 12,3   mm und hatte im Moment des Aufpralls eine Geschwindigkeit von circa 124   km/h. Natürlich wusste ich das alles zu dem Zeitpunkt nicht; das Einzige, was ich schemenhaft wahrnahm, war ein kleiner schwarzer Gegenstand, der mir aus dem nachmittäglichen Himmel entgegenschoss, und dann   …
    KRACH!
    Ein sekundenhaftes Aufblitzen von extremem Schmerz.
    Und danach nichts mehr.
     
    Zwanzig Minuten zuvor war alles absolut normal gewesen. Es war Freitag, der 5.   März, und auf den Straßen lagen noch die matschigen Schneereste der letzten Woche. Ich hatte die Schule zur üblichen Zeit verlassen, kurz nach halb vier, und mich mit dem gleichen Gefühl auf den Heimweg gemacht wie sonst auch. Ganz okay, aber nicht super. Allein, aber nicht einsam. Ein bisschen down, aber ohne besondere Sorgen. Ich |8| war einfach ich selbst, durch und durch normal. Tom Harvey, ein sechzehnjähriger Junge aus Südlondon. Ohne große Probleme, ohne Geheimnisse, ohne Angstzustände, ohne Laster, ohne Albträume, ohne besondere Fähigkeiten   … Es gab über mich nichts zu erzählen. Ich war einfach ein Junge, sonst nichts. Natürlich hatte ich Hoffnungen und Träume, so wie jeder sie hat. Mehr waren sie nicht – bloß Hoffnungen und Träume.
    Und eine dieser Hoffnungen, einer dieser Träume hatte mit dem Mädchen zu tun, an das ich dachte, während ich die High Street entlang und über die Crow Lane auf die vertraute graue Siedlung zuging, wo ich wohne. Offiziell heißt sie Crow-Lane-Siedlung, aber jeder hier nennt sie die Crow Town.
    Das Mädchen war Lucy Walker.
    Ich kannte Lucy seit Jahren, von Kindheit an, damals wohnten wir Tür an Tür. Ihre Mum hatte bei meiner Oma gebabysittet, genauso wie meine Oma bei ihr, und später, als wir etwas älter waren, hatten Lucy und ich viel zusammen gespielt – mal in der einen, mal in der anderen Wohnung, in den Aufzügen, auf den Schaukeln und dem, was sonst noch so auf dem Kinderspielplatz der Siedlung herumstand. Inzwischen wohnte Lucy nicht mehr nebenan, aber noch immer im selben Hochhausblock (Compton House), bloß ein paar Stockwerke höher, und ich kannte sie immer noch ziemlich gut. Manchmal traf ich sie in der Schule, ab und zu gingen wir zusammen nach Hause oder ich besuchte sie in ihrer Wohnung und wir waren ein paar Stunden zusammen, manchmal kam sie auch zu mir   …
    Aber wir spielten nicht mehr auf den Schaukeln.
    Und das vermisste ich irgendwie.
    Ich vermisste vieles, was Lucy betraf.
    |9| Deshalb fand ich es irgendwie schön, dass sie an diesem Tag auf dem Schulhof zu mir gekommen war und gefragt hatte, ob ich nach der Schule bei ihr vorbeikäme.
    »Ich muss was mit dir besprechen«, sagte sie.
    »Okay«, antwortete ich. »Kein Problem   … um wie viel Uhr?«
    »So gegen vier?«
    »Gut.«
    »Danke, Tom.«
    Und seitdem hatte ich die ganze Zeit an sie gedacht.
    Während ich den Weg zwischen der Crow Lane und dem Compton House abkürzte und quer über die Grünfläche lief, fragte ich mich, worüber sie wohl mit mir reden wollte. Ich hoffte natürlich, es hätte etwas mit mir und ihr zu tun, aber eigentlich wusste ich schon, dass es wohl um etwas anderes ging. Bestimmt hatte es wieder mit ihrem bescheuerten Bruder zu tun. Ben war sechzehn, ein Jahr älter als Lucy (aber ungefähr fünf Jahre bescheuerter), und in letzter Zeit lief er immer mehr aus der Spur – schwänzte die Schule, hing mit den falschen Leuten rum und tat so, als wäre er jemand, der er nicht war. So richtig hatte ich ihn nie gemocht, aber im Grunde war Ben kein unangenehmer Kerl, nur ein kleiner Idiot und leicht zu beeinflussen, was ja an sich nichts Schlimmes ist   … aber die Crow Town ist nun mal ein Ort, der leicht zu beeinflussende Idioten ausnutzt. Die Crow Town verschlingt solche Leute, spuckt sie wieder aus und verwandelt sie in nichts. Und während ich durch das Tor im Geländer um den Vorplatz vom Compton House ging, überlegte ich, dass Lucy sicher über ihn reden wollte. Sie würde bestimmt wissen wollen, ob ich eine Ahnung hätte, was Ben so trieb. Ob ich etwas gehört hätte. Ob ich etwas tun könnte. Ob ich mal mit |10| ihm reden und ihn zur
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