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Mein grosser Bruder

Mein grosser Bruder

Titel: Mein grosser Bruder
Autoren: Berte Bratt
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holen.“
    Ich fühlte selbst, daß ich erblaßte. Mein Gesicht, meine Wangen wurden ganz kalt.
    Ich stand auf, ich flüsterte nur: „Ja, ja, selbstverständlich.“
    Mit zitternden Händen holte ich meinen Mantel.
    Torsten drückte mich einen Augenblick ganz fest an sich. Dann verließen wir das Haus und die beiden vollen Champagnergläser.

Dies ist mein Dank, Bruder
     
     
    Es war Nacht. In ihrem Kinderwagen schlief die kleine Felice rosig und gesund. Wer nicht schlief, war ich. Torsten auch nicht. Ich lag da, den Kopf auf seiner Schulter. Lange hatten wir geredet, überlegt, nach einem Ausweg gesucht.
    „Da gibt es nur zwei Möglichkeiten, Torsten“, sagte ich. „Entweder wir erzählen Elsa und Johannes von Hedwig und dem Rollenangebot und allem. Dann wird Elsa die Reise aufgeben und Johannes allein fahren lassen. Oder wir erzählen gar nichts, wir behalten das Kind hier, und die beiden können fahren. Und ich verzichte auf Hedwig.“
    „Es ist noch etwas dabei“, sagte Torsten. „Wenn du dich dazu entschließt, dieses Riesenopfer zu bringen, dürfen die beiden es nicht wissen. Der Himmel weiß, ob sie es annehmen würden.“
    „Wahrscheinlich nicht“, meinte ich. „Wenn jemand weiß, was es bedeutet, seine Lieblingsrolle spielen zu dürfen, dann ist es Elsa. Nein, wir müssen den Mund halten, und ich muß den Intendanten und Birger flehentlich bitten, daß sie es auch tun. Torsten, was soll ich machen? Was wäre richtig und anständig von mir?“
    Torsten war ja der einzige Mensch, der es beurteilen konnte, denn er kannte mein ganzes Leben und wußte genau, was Johannes durch all die Jahre für mich getan hatte.
    „Ja, Vivichen, so hart, wie es auch klingen mag: Ich fände es richtig von dir, dieses große Opfer zu bringen. Du hast oft genug gesagt, daß du nie all das gutmachen könntest, was Johannes für dich getan hat. Jetzt hast du die Gelegenheit dazu. Es liegt in deiner Hand, ob Johannes jetzt die größte Freude seines Lebens beschert wird, oder ob er, wie unzählige Male in den vergangenen Jahren, verzichten muß.“
    „Johannes soll nicht verzichten“, sagte ich. „Er soll die Freude haben, ganz und ungetrübt. Es ist an der Zeit, daß ich einmal verzichte!“
    „Mein Vivilein“, flüsterte Torsten mir ins Ohr. „Ich bin stolz auf dich!“
    „Das wird gleich anders“, flüsterte ich. „Denn jetzt heule ich gleich.“
    „Tu das ruhig, mein Schatz“, sagte Torsten. „Das ist dein gutes Recht!“
    Torsten nahm mir etwas ab, wovor es mir furchtbar gegraut hatte: Er ging zum Intendanten, erklärte ihm die Situation und bat ihn, kein Sterbenswort über die Geschichte zu reden.
    Das andere, wovor es mir auch graute, konnte er mir nicht abnehmen: meine Versicherung Elsa und Johannes gegenüber, daß ich furchtbar gern die kleine Felice versorgen würde, und die beiden könnten getrost losfahren. „Und wenn du nun einen Statistenjob kriegst?“ fragte Elsa.
    „Den laß ich sausen!“
    „Es ist wahnsinnig lieb von dir, Vivi! Ist es dir klar, daß ich ohne deine Hilfe nicht hätte fahren können?“
    „Dann ist es ja gut, daß du mich hast“, sagte ich. „Und ob das gut ist! Nicht auszudenken, daß ich die Reise hätte aufgeben müssen, so wie Johannes sich freut! Ja, ich auch, aber ich denke vor allem an Johannes!“
    „Genau das tue ich auch“, sagte ich.
    Nach diesem Gespräch war ich wirklich ein klein bißchen stolz. Elsa, die doch das feine Ohr einer Schauspielerin hatte, hatte nichts gemerkt. Sie ahnte nicht, wie mein Herz blutete. Sie wußte nicht, was es mich an Selbstbeherrschung gekostet hatte, ruhig und unbefangen mit ihr zu sprechen.
    Es war Torsten, der die beiden per Auto zum Oslozug brachte, ganz früh morgens. Gegen Mittag sollte das Flugzeug von Oslo starten.
    Dann saß ich da mit dem kleinen rosigen Knäuelchen, das uns schon in einem so zarten Alter solche Komplikationen verschafft hatte!
    Die ersten Tage waren hart. Es war nicht nur die natürliche Babyflüssigkeit, die die Windeln naß machte. Meine Tränen trugen auch dazu bei. Sie fielen auch ab und zu in die Babybadewanne und sogar in den Babybrei.
    Aber nach einigen Tagen versiegten endlich die Tränen, und ich fing an, mich wieder in dem täglichen Rhythmus zurechtzufinden.
    Torsten erzählte mir – ich glaube, wörtlich – was der Intendant ihm gesagt hatte.
    „Es war ganz merkwürdig mit Ihrer Frau“, hatte er gesagt. „Was sie vorführte, war keine schauspielerische Leistung, es war ein Stück
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