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Die Samenhändlerin (German Edition)

Die Samenhändlerin (German Edition)

Titel: Die Samenhändlerin (German Edition)
Autoren: Petra Durst-Benning
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1
    Der Mann spürte, wie sich der Schweiß, der ihm in Rinnsalen den Leib hinablief, im Bund seiner Hose sammelte. Das Durchatmen fiel ihm schwer. Er griff an seinen Gürtel, um ihn ein Loch weiter zu schnallen. Als er den Krug an die Lippen setzte, lief ihm etwas Bier das Kinn hinab und befleckte seinen Hemdkragen. Statt es abzuputzen, grinste er vor sich hin. Wenn er von diesem Tisch aufstand, konnte er sich nicht nur ein neues Hemd nähen lassen, sondern gleich zwei oder drei oder vier!
    So ein gutes Blatt hatte er noch nie in seinem Leben gehabt. So viel Glück … Und das heute! Ausgerechnet heute …
    Mit Wucht knallte er seine Karten auf den Tisch.
    Das war’s!
    »Ja, verdamm mich doch!«
    »Verrecke! Du –«
    »Das … ist das wirklich …?«
    Ungläubige Gesichter starrten ihn an.
    »Meine Herren« – er bemühte sich um einen beiläufigen Ton, während sein Puls hart gegen seine Schläfen pochte –, »heute scheint das Glück auf meiner Seite zu sein.« Mit zittriger Hand raffte er sämtliche Geldscheine und Münzen, die auf dem Tisch verteilt waren, zusammen und stopfte alles in seinen Geldsack. Schnell weg damit! Es war besser, diesen Kerlen den Abschied von ihrem Geld so schmerzlos wie möglich zu machen.
    Der Wirt war der Erste, der seine Sprache wiederfand. »Warum die Eile? Kann so ein reicher Mann wie du nicht wenigstens noch eine Runde ausgeben?«
    Seine Frage wurde vom beifälligen Murmeln der anderen begleitet, aus welchem Friedhelm Schwarz aber auch die Worte »Betrug« und »nicht mit rechten Dingen« herauszuhören glaubte.
    Das Wirtshaus war alt und heruntergekommen, die Wände waren geschwärzt vom Rauch. Der Geruch von Arme-Leute-Essen mischte sich mit dem der Verzweiflung, Aggression und Abgestumpftheit. In einer Ecke tropfte etwas Nasses, Muffiges von der Decke.
    Angewidert schaute Friedhelm Schwarz sich um. In was für eine Spelunke war er hier geraten? Hatte er sich nicht geschworen, solchen Stätten ein für allemal den Rücken zu kehren? Andererseits: Hätte er dieses Wirtshaus nicht betreten, würde sein Geldsack jetzt nicht prall und schwer bis fast zu seinem Knie hinabhängen … Ha, da wird Else Augen machen!
    Sich ein Lachen verkneifend, warf er seinen feuchten Umhang über die Schultern.
    »Am besten mache ich mich gleich auf den Weg.« Während er die Bändel am Hals zuschnürte, blickte er durch die winzigen Fenster nach draußen. Es war noch hell – wenn man den Begriff überhaupt auf dieses gottverlassene Tal in den Schweizer Bergen anwenden wollte. Richtig hell wurde es hier eigentlich nie. Die umliegenden Berge fraßen jeden Sonnenstrahl auf, bevor er die Wiesen und Felder erreichen konnte. Landwirtschaft zu betreiben war in diesem Schattendasein ein hartes Brot. Das bisschen, was die Erde erbrachte, war zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel.
    Aber es war nicht sein hartes Brot, sagte sich Friedhelm. Nicht heute!
    Seit Wochen war er in dieser dunklen Ecke der Schweiz nun schon unterwegs und versuchte, mit den Bauern ins Geschäftzu kommen. Gerade einmal die Hälfte seines Gemüsesamens war er losgeworden – und so manches Päckchen hatte er auf Kredit dalassen müssen, auf das Versprechen hin, dass der Käufer im nächsten Jahr, nach der nächsten Ernte wieder genug Geld haben würde, um seine Schulden zu bezahlen. Blumensamen hatte Friedhelm in keinem einzigen Haus verkaufen können, was er den Leuten nicht einmal übel nehmen konnte. Veilchen und Anemonen machten nicht satt. Und mit knurrendem Bauch ging der Blick für die Schönheit eines Blumenbeetes schnell verloren.
    Ach, er hatte die Nase so voll von diesen hoch gelegenen Tälern mit den verschlossenen, verbitterten, armen Menschen! Warum erging es ihm nicht wie den anderen Samenhändlern, die ihre Geschäfte in besseren Gegenden tätigen konnten, fragte er sich nicht zum ersten Mal. Warum zählten zu seinen Kunden keine wohlhabenden Bauern, keine Gärtnereien, keine reichen Gartenliebhaber? Warum hatte sein Vater ihm lediglich diesen ärmlichen Samenstrich in der Schweiz vermacht?
    Ein Griff an seinen Geldsack half ihm, einen Deckel auf diese Fragen zu legen, bevor Neid und Wut und Hass ungebändigt in ihm aufsteigen konnten. Die anderen sollten sich zum Teufel scheren! Heute war er der König. Heute hatte er sein Geschäft gemacht, jawohl!
    Er wollte nach Hause.
    Nach Gönningen.
    In sein Heimatdorf, am Fuße der Schwäbischen Alb gelegen, hunderte Meilen von diesem elenden Flecken hier
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