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Die Samenhändlerin (German Edition)

Die Samenhändlerin (German Edition)

Titel: Die Samenhändlerin (German Edition)
Autoren: Petra Durst-Benning
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ihren Mann im nächsten Moment zu sehen.
    Ein ungutes Gefühl machte sich in Seraphines Bauchgegend breit. Sosehr sie sich die Rückkehr ihres Vaters wünschte, sosehr fürchtete sie zugleich den Moment.
    »Glaubst du, er …« Sie brach ab. Vater wusste doch, dass ihre Hochzeit bevorstand! Er wusste es doch!
    »Ich weiß es nicht, Kind«, antwortete ihre Mutter tonlos.
    Seraphine biss sich auf die Lippen.
    Was, wenn Vater sein Versprechen gebrochen hatte? Wieder einmal. »Tot umfallen will ich, wenn ich mich noch einmal von irgendwelchen Lumpen überreden lasse!« Noch heute tönten ihr seine Worte in den Ohren. Kein Würfelspiel mehr, keine Karten, und wetten wolle er auch nie wieder. Das sei vorbei, ein für allemal, hatte er Mutter bei seiner Abreise geschworen.
    Und wenn er doch wieder mit leeren Taschen heimkam? So wie nach dem Jakobihandel im Spätsommer?
    Seraphine schauerte. Es war so peinlich gewesen, so schrecklich peinlich, zu Helmut zu gehen und ihm von der misslichen Lage zu erzählen, in der ihr Vater steckte. Dass nämlich von dem Geld, das er durch den Verkauf der gedörrten Apfel- und Birnenschnitze eingenommen hatte, gerade noch so viel übrig war, um Kartoffeln, Kraut und Rüben für den Winter einzulagern. Für neue Ware war kein einziger Heller übrig geblieben. Helmut hatte nicht viel Aufhebens gemacht und gemeint, Friedhelm Schwarz sei nicht der Einzige, der Samen bei der Familie Kerner auf Pump kaufen würde. Noch am selben Abend hatte er mit seinem Vater gesprochen, und Gottlieb Kerner war am nächsten Tag vorbeigekommen und hatte eine Auswahl Gemüse- und Blumensamen mitgebracht. Seraphine wäre am liebsten im Erdboden versunken, als ihr Vater den Schuldschein für die Ware unterschrieb. Ihm schien das Ganze wenig auszumachen. So etwas könne jedem einmal passieren, hatte er schräg grinsend gesagt. Eine Dummheit, gewiss: die Freude über die guten Geschäfte, das angenehme Gefühl, wenn die Münzen im Sack klimperten, ein paar Bierchen über den Durst und dazu die ausgelassene Stimmung in manchen Wirtshäusern, Gottlieb wisse ja, wie so etwas sei …
    Seraphine hatte genau gesehen, wie ihr zukünftiger Schwiegervater die Nase rümpfte. Sie wusste, was ihm durch den Kopf gegangen war.
    Die zahlreichen Streuobstwiesen rund um Gönningen brachten den Dorfbewohnern alljährlich eine reiche Obsternte, und auch die Familie Schwarz besaß einige Wiesen. Aus den Äpfeln und Birnen, die im Schutz der Schwäbischen Alb im Überfluss wuchsen, wurde Dörrobst hergestellt, das man während des Jakobihandels Ende Juli an den Mann brachte – eine gute Einnahmequelle vor allem für jene Gönninger, die nicht viel Geld für Blumen- und Gemüsesamen investieren konnten. Für Leute wie Friedhelm Schwarz. Doch statt sich dieser Tatsache bewusst zu sein, hatte ihr Vater seine Einkünfte leichtfertig verspielt und war schließlich wie ein Bettler dahergekommen.
    O Sternenfee, wie konntest du nur … Seraphine presste die Hand vor den Mund, um einen Schrei zu ersticken.
    Ein weiterer schrecklicher Gedanke überfiel sie: Es mochte ja sein, dass die Kerners an viele im Dorf Ware auf Pump verkauften, aber was, wenn Friedhelm Schwarz der Einzige war, der nicht zurückzahlte?
    Das würde sie ihm nie verzeihen! Niemals, nicht in diesem und nicht im nächsten Leben.
    Als Seraphine sah, mit welch versteinertem Gesicht ihre Mutter aus dem Fenster guckte, wallte dieselbe ohnmächtige Verzweiflung in ihr auf, die sie schon so oft verspürt hatte.
    Warum konnte Mutter nicht mehr Zuversicht zeigen? Und warum begleitete sie den Vater nicht auf seinen Reisen, so, wie das andere Frauen auch taten? So, wie sie es früher getan hatte? Das linke Bein wollte nicht mehr. Aber sie hatte doch zwei Beine! Seraphine war sich nicht sicher, ob die Mutter ihr Leiden nur vortäuschte. Ob sie sich nicht hinter der Flickwäsche versteckte, die sie für die Frauen im Dorf erledigte. Für Frauen,die dafür keine Zeit hatten, weil sie auf der Reise waren. Dass sie selbst anstelle ihrer Mutter den Vater hätte begleiten können – auf diesen Gedanken kam Seraphine nicht.
    Als könne sie Gedanken lesen, wandte Else Schwarz den Blick vom Fenster ab und richtete ihn auf ihre Tochter.
    »Selbst wenn ich mitgegangen wäre, hätte ich für nichts garantieren können. Du hast noch nicht erlebt, wie es ist, wenn dein Vater seinen glasigen Blick bekommt. Er muss nur in die Nähe von Würfeln oder Karten gelangen, und kein vernünftiges Wort ist
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