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Die Samenhändlerin (German Edition)

Die Samenhändlerin (German Edition)

Titel: Die Samenhändlerin (German Edition)
Autoren: Petra Durst-Benning
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Hannah ihren Drang, Wasser lassen zu müssen, fast vergessen. Stattdessen kam sie aus dem Staunen nicht mehr heraus.
    Seit sie die ersten Häuser von Gönningen passiert hatte, war sie bei drei Schuhmachern, vier Metzgerläden, einem Friseur und mindestens fünf Kaufmannsläden vorbeigekommen. Auch ein Gasthof namens »Schwanen« war dabei gewesen, doch innen war nirgendwo Licht zu sehen, so dass Hannah annahm, er wäre geschlossen. Aber bei so vielen Läden würde es doch bestimmt auch ein zweites Gasthaus geben! Was für ein ungewöhnliches Dorf … Die meisten Geschäfte waren in stattlichen Häusern untergebracht, von denen einige aus einem cremefarbenen, fremdartigen Stein erbaut waren. Vor oder neben vielen Häusern befanden sich kleine Gärten, deren Eingangstore schmiedeeisern und so reichhaltig verziert waren, als würden sie zu städtischen Villen gehören. Die Gassen waren durch den Schein vieler Laternen gut beleuchtet und ausgesprochen sauber. Obwohl sich immer wieder Fuhrwerke und Kutschen aneinander vorbeidrängten, lagen nirgendwo Pferdeäpfelherum. Ob die wohl jemand wegkehrte? Auch herrschte ein solch reges Treiben, dass Gönningen den Vergleich mit dem Nürnberger Viertel, in dem Hannahs Eltern ihren Gasthof hatten, nicht scheuen musste. Frauen gingen eilig in Richtung der Kirche – gut gekleidete Frauen, wie sie mit einem Blick erkannte, woraufhin sie sich in ihren verschmutzten Sachen umso schäbiger vorkam. Männer, die einen Arm um die Schulter eines Kameraden gelegt hatten, waren vermutlich auf dem Weg ins nächste Wirtshaus. »Die Gönninger können in einer Nacht ihre ganze Habe versaufen« – unwillkürlich musste Hannah an die Worte des Bauern denken. Und dann sah sie trotz des schlechten Wetters überall Kinder: kleine Kinder, die miteinander spielten, größere, die miteinander stritten, und kichernde halbwüchsige Kinder. Als Hannah einen Blick in eine der Seitengassen wagte, sprang ihr eine Horde kleiner Wegelagerer vor die Füße, die kichernd und feixend Wegepfand von ihr forderten.
    »Weg mit euch!« Mit Hilfe ihres Koffers versuchte sie, die Bande davonzujagen. Doch die Kinder lachten nur und tanzten weiter um sie herum – wie ungezogen! Hastig verließ Hannah die enge Gasse und kam sogleich auf einen Marktplatz. Mitten auf dem Kopfsteinpflaster blieb sie stehen.
    »Allmächt …« Das »Lamm«, die »Krone«, der »Fuchsen«, die »Sonne« – an jeder Ecke gab es ein Gasthaus!
    Die Frage, wo sie übernachten sollte, war nun zu einem wirklichen Problem geworden, wenn auch völlig anderer Art, als Hannah es erwartet hatte.
    »Eins ist so gut wie das andere«, murmelte sie vor sich hin, wohl wissend, dass dem nicht so war. Warum suchten viele Reisende in Nürnberg immer wieder ausgerechnet den »Goldenen Anker« ihrer Eltern auf, obwohl er nicht einmal sonderlich zentral lag? Weil eben nicht jedes Wirtshaus so gut wie das andere war! Weil die Reisenden wussten, dass das Essen, dieBedienung und die Schlafmöglichkeiten im »Goldenen Anker« gleichermaßen solide und bezahlbar waren.
    Hannah blinzelte. Daheim waren die ersten Gäste bestimmt schon eingetroffen, und Mutter hatte alle Hände voll zu tun, in der Küche und im Gastraum … Heimweh sprang Hannah an wie eine Zecke. Bevor es das letzte bisschen Kraft aus ihr saugen konnte, steuerte sie auf eines der kleineren Häuser zu, dessen Schild von einer hübschen Sonne verziert war.
    »Sie haben Glück, ein Zimmer ist noch frei«, antwortete die Wirtin nach einem ausgiebigen Blick in ihr Gästebuch. »Für wie lange werden Sie die Kammer benötigen?«
    »Das weiß ich noch nicht«, murmelte Hannah. Ihr Blick fiel durch die angrenzende Tür. Ob sie mit der »Sonne« die richtige Wahl getroffen hatte? Die Wirtsstube war voller Männer, die irgendetwas zu feiern hatten. Jedenfalls ging es dementsprechend laut zu. In dem kleinen Flur, in dem sich Hannah und die Wirtin befanden, standen reihenweise Säcke an der Wand, so dass ein Durchkommen nur mit eingezogenem Bauch und angewinkelten Armen möglich war. Warum nur war hier so viel Betrieb?
    Die Frau folgte Hannahs Blick und sagte: »Heute sind die Ulmer Gärtner angekommen, die Säcke da, das ist alles deren Gelumpe! Die Ulmer kommen jedes Jahr um diese Zeit. Wollen sich sozusagen noch ein letztes Geld im alten Jahr verdienen.« Sie lachte.
    »Die Ulmer Gärtner – aha!« Hannah nickte wissend, als wäre damit alles klar. Sie neigte sich über den Tresen und flüsterte der
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