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Sternenteufel

Sternenteufel

Titel: Sternenteufel
Autoren: André Norton
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1.
     
    Mit zwei Fingern ihrer Linken machte das Raskimädchen Dämonenhörner und spuckte durch sie. Das Tröpfchen Speichel landete auf der furchigen Lehmstraße, es verfehlte Elossas Reiseumhang nur um Fingerbreite. Elossa achtete nicht mehr auf das Mädchen. Ihr Blick galt den fernen Bergen, ihrem Ziel.
    In dem Städtchen wallte der Haß wie eine faulige Wolke, die sie würgte. Sie hätte die Ortschaft umgehen sollen. Keiner von Yurthblut betrat je eine dieser einheimischen Siedlungen, wenn er es vermeiden konnte. Der ausgestrahlte Haß war so durchdringend, daß er am Obersinn nagte, den Empfang dämpfte und die Gedanken verwirren konnte. Aber sie hatte Proviant gebraucht. Am vergangenen Abend war sie in der Dämmerung, als sie einen Bach überqueren wollte, auf einem glitschigen Stein ausgerutscht, dabei war der Mundvorrat in ihrem Beutel naß und ungenießbar geworden.
    Der Krämer, den sie aufgesucht hatte, war mürrisch und unfreundlich gewesen, aber er hatte nicht gewagt, ihr zu verweigern, was sie schnell ausgesucht hatte. All diese Augen auf ihr, und die Haßwellen … Nun, als sie annahm, sie habe das Mädchen weit genug zurückgelassen, beschleunigte sie ihren Schritt.
    Ein Yurth bewegte sich unter den Raski mit Würde. Er ignorierte die Eingeborenen, blickte über sie hinweg, als gäbe es sie gar nicht. Yurth und Raski waren so verschieden wie Tag und Nacht, Berg und Tal, Sommer und Winter. Es gab nichts Gemeinsames, das sie verbinden könnte.
    Und doch lebten sie auf ein und derselben Welt, aßen die gleiche Nahrung, atmeten die gleiche Luft. Selbst unter den Yurth gab es einige mit dunklem Haar, ähnlich dem der Raski, die es eng gerollt auf dem Kopf trugen; und auch ihre Hautfarbe war kaum verschieden. Gewiß, die Haut der Raski war vermutlich schon von Geburt an braungetönt, aber auch die Yurth, wie sie fast ständig im Freien und der glühenden Sonne ausgesetzt, waren von Wind und Wetter gebräunt. Kleidete Elossa sich in Mieder und knöchellangen Rock des Mädchens, das seinem Haß nur allzu deutlich Ausdruck verliehen hatte, ließ sie ihr Haar wachsen und rollte sie es hoch, mochte sie kaum anders als eine Raski aussehen. Nur im Geist, in ihrer Denkweise, ihrer Gabe unterschieden sie sich.
    Immer war es so gewesen. Der Obersinn der Yurth war angeboren. Ob Mädchen oder Junge, die Yurth wußten ihn zu benutzen, noch ehe sie sprechen konnten, denn dieser Obersinn war alles, was sie vor völliger Ausrottung bewahrte.
    Zacar war keine sehr lebensfreundliche Welt. In den rauhen Jahreszeiten tobten schreckliche Stürme, die die Yurth in ihre Bergbehausungen trieben und sie von der Umwelt abschnitten und den Ortschaften im Flachland schwer zu schaffen machten. Wind, Hagel, Frost und Regen in peitschenden Güssen, all das mußten die Bewohner Zacars ertragen. Alles vernunftbegabte Leben suchte Unterschlupf zu dieser Zeit. Deshalb war die Pilgerung auch nur während der zwei ersten Herbstmonate möglich. Und für Elossa bedeutete es, daß sie sich beeilen mußte zu tun, was von ihr gefordert wurde.
    Sie stieß ihre Stabspitze in den zerbröckelnden Lehmboden und bog von der Straße ab, die zu einigen nahe gelegenen Bauernhöfen führte, nicht zu den Bergen, die ihr Ziel waren. Sie sehnte sich danach, die Ebene endlich hinter sich lassen zu können, und Höhen zu erreichen, wo die Luft rein, nicht staubgeschwängert in ihre Lunge drang, wo sie ihren Gedanken ungestört von all dem Haß nachhängen konnte, der von allen Raskiorten ausging.
    Nach der Sitte ihres Volkes mußte sie diese Pilgerung allein machen. An dem Tag, da die Clanfrauen ihr Stab, Umhang und Mundvorratbeutel gebracht hatten, war ihr Herz schwer geworden, und nicht nur aus Angst, allein durch das Unbekannte pilgern zu müssen. Doch das blieb keinem Yurth erspart. Jedes Mädchen, jeder Junge mußte diese Pilgerung machen, sobald der Körper reif für die Pflichten eines Älteren war und der Geist bereit, das Wissen zu empfangen. Einige kehrten nie zurück, und die es taten, waren – verändert.
    Sie konnten eine Barriere zwischen sich und allen anderen errichten, ihre Gedanken ausschließen und die eigenen für sich behalten, wenn sie es wollten. Auch waren sie ernster, ja düsterer, als wäre das Wissen eine Last, die man ihnen aufgebürdet hatte. Aber sie waren Yurth, und als Yurth mußten sie die Wiege ihres Volkes aufsuchen und das Wissen aufnehmen, so bitter und drückend es auch sein mochte.
    Die Pilger brauchten nur ihren Geist
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