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Mein grosser Bruder

Mein grosser Bruder

Titel: Mein grosser Bruder
Autoren: Berte Bratt
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Mami, Johannes und ich
     
     
    Als Mamilein achtzehn war, heiratete sie Johannes Kruse. Als sie neunzehn war, kam ihr Sohn zur Welt. Zu diesem Zeitpunkt war Mamilein so verliebt in ihren Johannes, daß sie gar nicht auf den Gedanken kam, ihren Sohn anders zu nennen als Johannes. Als Johannes junior sechs Jahre alt war, wurde Mamilein von Johannes senior geschieden. Als junior sieben war, heiratete Mamilein meinen Vater, und ein Jahr darauf kam ich zur Welt. Ich heiße Vivi. Das heißt, eigentlich heiße ich nicht so. Ich wurde aus unbekannten Gründen Vivian getauft, bekam aber schon sehr früh den Kosenamen Vivi, und der ist an mir hängengeblieben. Glücklicherweise.
    Mein Bruder Johannes ist niemals Johnny oder Hansi oder Hansemann genannt worden. Mein Bruder hat so ein gewisses Etwas, daß niemand darauf verfällt, ihm Kosenamen zu geben. Er ist und bleibt Johannes. Er ist und bleibt ein Prachtkerl. Und er ist und bleibt acht Jahre älter als ich an Jahren, dreißig Jahre älter an Geist und Weisheit.
    Mamilein nahm Johannes mit in ihre neue Ehe, und mein Vater sorgte „wie ein Vater“ für ihn, wie es so schön heißt. Jeden zweiten Sonntag aß Johannes zu Mittag bei seinem richtigen Vater und dessen neuer Frau, und am Ersten jedes Monats kam das Geld von Johannes senior für Johannes Juniors Unterhalt.
    Als ich sieben Jahre alt war, wurde Mamilein von meinem Vater geschieden. Jeden zweiten Sonntag aß ich zu Mittag bei meinem Vater und dessen neuer Frau, und jeden Monat kamen mit unerschütterlicher Pünktlichkeit die Gelder für meinen Unterhalt.
    Johannes hatte über seinem Bett das Bild seines Vaters hängen, und über meinem Bett hing das Bild meines Vaters.
    Beide Väter bekamen neue Kinder mit ihren neuen Frauen und zeigten kein übergroßes Interesse für uns. Eltern sind manchmal recht sonderbar.
    Als ich elf Jahre alt war, starb mein Vater. Außer einem fernen Onkel, meinem Vormund, der das Erbteil meines Vaters in Verwahrung hatte, und von dem wir jeden Monat mein Unterhaltsgeld bekamen, hatte ich niemand mehr als meinen Bruder Johannes und Mamilein. Mamilein war nunmehr das Familienoberhaupt.
    Ich kann mir keinen Menschen vorstellen, der zum Familienoberhaupt weniger geeignet ist als Mamilein.
    Als Mamilein vierzig Jahre war, sah sie aus wie sechsundzwanzig. Ich weiß nicht, ob man sie hübsch nennen kann. Aber sie sieht bestimmt amüsant aus, mit ihrem kleingelockten Haar, der zierlichen Gestalt, mit der Stupsnase, der klaren Haut und den großen, blauen Kinderaugen, die so rührend hilflos dreinschauen können. Mamilein versteht es, immer den Beschützerinstinkt in den Männern zu wecken, und alle wollen sie schrecklich gern beschützen. Denn Mamilein ist, nebenbei gesagt, von Kopf bis Fuß sehr sexy.
    Ich kann wirklich nicht behaupten, daß ich eine unglückliche Kindheit gehabt hätte. Aber eine abwechslungs- und ereignisreiche, so kann ich wohl sagen, eine Kindheit voller Überraschungen, die meine sehr impulsive Mutter mir bescherte.
    Mamilein liebte es, Gäste zu haben. In unserem Heim kamen und gingen unzählige „Onkels“ und „Tanten“. Ich wunderte mich nie, wenn ich als Kind in die Küche kam und einen neuen, wildfremden „Onkel“ vor dem Herd stehen und Spiegeleier braten sah oder eine ebenso neue und fremde „Tante“, die aus unserem sehr unterschiedlich bestückten Kühlschrank etwas hervorholte. Das bedeutete bloß, daß Mamilein irgendwelche „neuen amüsanten Leute“ kennengelernt und sie nach Hause mitgenommen hatte zu dem, „was das Haus zu bieten“ hatte.
    Was es zu bieten hatte, hing von den Finanzen ab, und die hingen wieder davon ab, ob Mamilein sich nicht zu einem Modellkleid, einem teuren Hut oder einem Teeservice hatte hinreißen lassen. Außerdem hing es sehr davon ab, welche Interessen und Liebhabereien Mamilein im Augenblick hatte. Eine kurze Periode lang lebten wir einmal vegetarisch, und Mamilein war Feuer und Flamme für gesunde Kost. Leider fiel diese Periode in den Winter, als Gemüse teuer und selten war. Nachdem wir eine Woche Kohl und Kartoffeln gegessen hatten, waren Mamileins vegetarische Gelüste befriedigt, und wir feierten eines Tages die Umstellung mit einem grandiosen Schweinebraten.
    Am Abend wurden Mamilein und ich krank, Johannes aber nicht; er war vernünftig gewesen und hatte mit Vorsicht gegessen.
    Wir haben Gerson-Diät und Waerland-Kost absolviert, wir haben eiweißreiches und eiweißarmes Essen erlebt, Milchdiät,
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