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Mein grosser Bruder

Mein grosser Bruder

Titel: Mein grosser Bruder
Autoren: Berte Bratt
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Fenger möchte die Erlaubnis ihres Vormunds einholen, zu heiraten, bevor sie mündig wird…“

Ein Jahr später
     
     
    Es ist unfaßbar, wie schnell die Zeit vergeht!
    Torsten und ich sind längst verheiratet und bewohnen eine nette kleine Zweizimmerwohnung, nicht allzu weit von unserer alten Wohnung, die Johannes und Elsa behalten haben.
    Sie brauchen auch mehr Raum als wir, denn sie sind seit einigen Monaten zu dritt.
    Zum erstenmal in meinem Leben hatte ich es gewagt, meinen respekteinflößenden, großen Bruder zu necken.
    „Und dies mußte ausgerechnet dir passieren!“ war mein Kommentar, als die kleine Felice sieben Monate nach der Trauung das Licht der Welt erblickte. „Du tugendhafter, fehlerfreier Johannes!“
    „Betrachtest du vielleicht unsere Tochter als einen Fehler?“ fragte Johannes. Sein Blick hing an dem kleinen Geschöpf im Babykörbchen, und seine Augen leuchteten vor Glück.
    „Ich betrachte nichts als Fehler!“ beeilte ich mich zu erklären. „Eure Tochter ist das süßeste Baby der Welt, das steht fest. Aber ich dachte, daß du es als einen Fehler betrachtest, wenn das Erstgeborene so kurz nach der Trauung erscheint!“
    „Das zeigt, wie schlecht du deinen Bruder kennst“, schmunzelte Johannes. „Wenn zwei Menschen sich lieben, dürfen sie meinetwegen auch ohne Trauschein ein Kind bekommen. Wenn sie aber Sex als ein Gesellschaftsspiel betrachten, dürfen sie überhaupt keine Kinder auf die Welt setzen – meine also ich!“
    „Du bist ja direkt liberal geworden, Bruderherz!“ sagte ich.
    „Das war ich immer, ich hatte nur keine Gelegenheit, es zu zeigen“, antwortete mein Bruder und hielt somit anscheinend das Thema für erledigt.
    „Warum heißt sie eigentlich Felice?“ fragte ich.
    „Rate mal!“ antwortete Johannes.
    Ich dachte nach. In welchem Zusammenhang hatte ich nur den Namen Felice gehört? Dann fiel bei mir der Groschen.
    „Oh, ich weiß!“ rief ich. „So hieß ja Elsa in ihrer ersten Rolle hier am Theater! So hieß sie in ,Zwei in einem Kutter’ – das war die erste Rolle, in der du sie gesehen hast!“
    „Gut, eins rauf!“ schmunzelte Johannes. „Außerdem bedeutet der Name ,Die Glückliche’, was du wahrscheinlich nicht weißt.“
    „Dann wünsche ich nur, daß sie ihrem Namen immer Ehre machen wird“, sagte ich.
    Torsten und ich hatten auch viel Freude an der kleinen Felice. Wenn Elsa einen Babysitter brauchte, brachte sie uns das Töchterchen, ich wickelte es und machte das Fläschchen zurecht, ich fütterte und bettete die Kleine, mit Torsten als Zuschauer, bis er eines Tages bat, ob er das Baby versorgen durfte? Er durfte – unter meiner Aufsicht! – und schaffte es tadellos.
    „So eines müssen wir uns auch gelegentlich zulegen“, sagte er, als er das Kindchen zärtlich in den Kinderwagen gelegt und es zugedeckt hatte.
    „Unbedingt“, stimmte ich zu. „Wenn die Möbel und das Auto bezahlt sind!“
    Wir mußten nämlich vorerst mit dem Geld vorsichtig umgehen. Natürlich war es furchtbar leichtsinnig, daß wir uns einen Kleinstwagen zugelegt hatten, aber es war eine einmalig günstige Gelegenheit, einen kleinen Gebrauchtwagen um ein Butterbrot zu kriegen. Torsten hatte den Führerschein, und ich würde den meinen machen, wenn wir alle Raten bezahlt hatten.
    Um unsere Finanzen etwas aufzufrischen, ergriffen wir unseren alten „Nebenberuf“: Wir machten Statistenjobs im Theater. So allmählich betrachtete man uns dort als „feste Stützpunkte“ in der Statisterie, und wir wurden oft beschäftigt. Was meine Wenigkeit betrifft, war ich zum Platzen stolz: In einem kleinen Lustspiel wurden mir ganze vier Repliken anvertraut! Ja, mehr als das, mein Name kam sogar mit ins Programm! Ganz unten, in der letzten Zeile: „Stubenmädchen – Vivi Holm.“
    Jeden Abend hatte ich dann die ungeheuer wichtige Aufgabe, zu sagen: „Der Tee ist serviert, Herr Direktor.“ – „Die Post, gnädige Frau.“ – „Bitte sehr, Herr Doktor.“ – Und zuletzt einen ganz aufregend langen Satz: „Was machen wir bloß – in einer Stunde kommen die Gäste, und die Blumen für den Tisch sind noch nicht da!“
    So komisch es auch klingen mag: Ich freute mich jeden Tag auf das Auftreten und auf meine vier Sätze! Der Regisseur hatte mir beigebracht, wie ich bei dem Satz über die nicht angekommenen Blumen das Entsetzen und die Ratlosigkeit in Stimme und Gesichtsausdruck legen sollte, und nach ein paar Wiederholungen war er mit mir zufrieden.
    Torsten schmunzelte
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