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Meerestochter

Meerestochter

Titel: Meerestochter
Autoren: Serena David
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wieder geschlossen, sich an seine Schulter geschmiegt. So wie früher, wenn sie an seiner Seite einschlief, wenn er sie im Arm hielt und ihr manchmal noch etwas vorlas oder erzählte, bis ihr die Augen zufielen, sodass sie selbst halb im Traum noch von seiner Stimme getragen wurde. Sie hätte gerne alles vergessen und sich der Müdigkeit überlassen, die sich mehr und mehr in ihr ausbreitete. Da war Jonas’ Atem, seine Lippen, ein Kuss. Rose war glücklich. Aber was sagte er?
    «Erlaube, dass ich es tue.» Seine Stimme klang schmeichelnd. Neben ihm stand Nox, zerknirscht, aber mit erhobenem Kopf. Er hatte das blutige Messer nicht losgelassen, sondern hielt es fest gegen den eigenen Brustkorb gerichtet.
    «Du wärst dann für immer bei mir, an meiner Seite. Gemeinsam könnten wir den Ozean durchqueren, Rose. Weißt du noch, wie wir uns früher immer gewünscht haben zu reisen?» Er lächelte sie an. «Es gäbe keine Grenzen mehr für uns.»
    Rose hob die Hand und strich ihm über die Wange. Dann hob sie ein wenig den Kopf, um Nox besser sehen zu können. «So ein hübscher Junge», sagte sie matt.
    Der Meerkönig runzelte irritiert die Stirn.
    Sie strich sacht über seine Falten.
    «Du und ich», flüsterte er.
    Es war zu viel für sie. Heftig umschlang sie ihn und küsste ihn auf den Mund. Sie küsste ihn lange. Dann richtete sie sich auf. Sie nahm ihre Kräfte zusammen und stellte sich auf die Beine. «Nein», sagte sie.
    «Aber …» Der Meerkönig konnte es nicht fassen. «Aber Rose … warum?»
    Ihre Miene war nicht unfreundlich, ihr Ton sanft. Aber sie klang bestimmt. «Weil ich dich nicht mehr will, Jonas.» Dann wandte sie sich an Nox. «Ich kenne Ihren Namen nicht, junger Mann. Ich hoffe, Sie halten mich nicht für unhöflich, wenn ich Ihnen sage, dass Sie ein wenig zu schnell mit dem Messer sind. Das ist alles ganz und gar nicht nach meinem Geschmack, fürchte ich. Sehen Sie es mir daher nach, wenn ich Ihr freundliches Angebot dankend ausschlage. Christy?» Sie tastete mit der Hand nach Ondra, nach einem Halt suchend, um zu verbergen, wie wackelig sie auf den Füßen stand und wie dicht sie an der Grenze ihrer Kräfte war. «Wir gehen.»
    Ondra brachte es nicht fertig, ihrem Vater in die Augen zu schauen. Zuzusehen, wie er eine Frau küsste, war schon unangenehm genug. Mitzuerleben jedoch, dass er zurückgewiesen wurde, tat mehr weh, als sie gedacht hatte. Noch nie hatte sie ihn in einer Situation erlebt, die auch nur im Entferntesten einer Niederlage glich. Er war es, der andere beschämte, niemals umgekehrt. Wie oft hatte sie sich so etwas ersehnt, wenn sie wieder einmal wütend auf ihn gewesen war, während sie zugleich wusste, dass es unvorstellbar war. Nun war es geschehen, so demütigend und verletzend, wie man es sich nur wünschen konnte. Und sie fühlte kein bisschen Schadenfreude. Vor Peinlichkeit wusste sie kaum, wohin sie sich wenden sollte.
    Nox und Aura standen da wie begossene Pudel. Zweifellos wünschten auch sie sich, weder Augen noch Ohren zu besitzen, und dazu das Gedächtnis einer Garnele.
    Plötzlich fühlte Ondra sich am Kinn gefasst. Ihr Vater hob ihr Gesicht hoch und las lange in ihren Augen. «Du wirst es ihm sagen.»
    Empört wollte sie widersprechen.
    Ihr Vater nickte. «Das wirst du, eines Tages. Ich weiß das. Ich habe es selbst getan. Wenn man wirklich liebt, dann will man nicht, dass irgendetwas zwischen einem steht. Nein, nein, schscht», brachte er ihren Protest zum Schweigen. «Du wirst es erleben.»
    Erleben?, dachte Ondra verwirrt. Hieß das etwa …?
    Ihr Vater lächelte. Er neigte sich ein letztes Mal vor und flüsterte etwas in ihr Ohr. Dann winkte er seinem Gefolge. Die Meermenschen verschwanden in der Wand, als hätte es sie nie gegeben. Gleich darauf verfärbte sich das Wasser. Es war, als hätte man Milch hineingegossen. Wie verdünnter Anisschnaps wurde es trüber und heller, wandelte sich von Smaragd zu Jadegrün und beinahe zu Weiß. Millionen von Bläschen trieben unter der Oberfläche in rasenden Wirbeln, die sich schwindelig kreisten. Schließlich zerfiel alles zu Schaum, der sie umhüllte und noch einmal in sich zusammensackte, bis ein etwa knöchelhoher Wasserstand zurückblieb, der um ihre Fußgelenke spielte. Es war klares Meerwasser, in dem sich die Strahlen einer untergehenden Sonne spiegelten, die gerade durch die schwarze Wolkendecke drangen. Zerfetzt zogen die Wolkenbänke sich zurück, wie aufgesogen von etwas, das sich mehr und mehr
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