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Meerestochter

Meerestochter

Titel: Meerestochter
Autoren: Serena David
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entfernte.
     
    «Christy? Christy!»
    Mit platschenden Schritten, Fontänen aufsprühend, kam Adrian durch das seichte Wasser auf sie zugerannt. Ohne zu fragen, ohne etwas zu sagen, riss er die Nixe an sich und nahm sie fest in seine Arme. «Meine Christy, oh mein Gott.» Er versteckte sein Gesicht in ihrem Haar.
    Einen Moment noch stand sie wie betäubt, dann schlang sie ihre Arme um seinen Hals, als wollte sie ihn nicht mehr loslassen. Sie hatte es auch nicht vor.
    «Weinst du?», fragte er irgendwann.
    Sie schüttelte abrupt den Kopf.
    Er löste sich von ihr, befreite zärtlich mit beiden Händen ihr Gesicht von den wirren Haaren und hielt es fest.
    «Du hast so warme Hände», murmelte sie.
    «Ja», erwiderte er.
    Dann küssten sie einander, erst sacht, zögernd, tastend, dann mit einer Gier, die sie selbst überraschte. Sie vergaßen das Wasser, sie vergaßen die Welt, verschlangen einander und wussten nicht mehr, wo der eine endete und der andere begann. Es war berauschender als ein Ritt mit Delphinen, erlösender als der Taumel der Inspiration. Es war alles, was sie je gesucht hatten.
    «Entschuldigt bitte.» Rose räusperte sich.
    Erschrocken kam Ondra zu sich. Gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie Rose vor ihren Augen umsank. Gerade noch ehe sie ins Wasser fiel, fingen sie die zierliche Dame auf.
    «Was hat sie?», fragte Adrian, Christy noch auf seinen Lippen, ihren Geschmack im Mund, ihre Feuchtigkeit und Wärme auf der Haut, ihren Duft in der Nase.
    «Sie hat sich an den Felsen verletzt, glaube ich», log Ondra, noch immer keuchend, noch immer nicht sie selbst.
    Gemeinsam trugen sie die Tante bis zum Ufer, wo Knightley sie erwartete, hinter sich ein Auto mit laufendem Motor. «Noch ein Patient?», fragte er. Einladend trat er zur Seite und sah zu, wie sie Rose neben Ned auf die Rückbank setzten. Adrian kniete sich hin, um ihre Beine vorsichtig ins Wageninnere zu heben.
    Ondra holte Atem, um zu antworten. Da kam Morningstar angerannt. Sein Anzug war verdreckt, sein Haar lag in wirren, nassen Strähnen um seinen Kopf. Aber er strahlte, als er Rose entdeckte.
    «Warum sind Sie nicht oben geblieben?», rief Adrian ihm entgegen.
    «Wozu?», fragte der Pathologe und zwinkerte ihm zu. «Um auf Maud aufzupassen? Die kommt alleine klar, glaub mir, mein Junge.»
    «Aber es ist gefährlich hier unten.»
    Morningstar hörte nicht zu. Er hatte sich Rose zugewandt und bemerkte nun ihre Verletzung. «Mein Gott», rief er und begann, ihr Kleid um die Wunde herum aufzureißen. «Das muss versorgt werden.» Eifrig machte er sich an die Arbeit. «Aber das ist ja, meine Güte …» Vor Aufregung stieß er sich den Kopf an der Türöffnung des Wagens. Rose strich ihm an der schmerzenden Stelle übers Haar. Er hielt inne. Sie erschraken beide. Rasch zog sie ihre Hand zurück und faltete züchtig die Finger im Schoß. Er flüchtete sich wieder in seine Rolle als Arzt, tupfte, schnitt, fragte und schimpfte.
    Sie wehrte seine Besorgnis ab. «Du hast sicher schon Schlimmeres gesehen.»
    «Nicht an lebenden Menschen», bekannte er, hielt inne und schluckte. Beide wussten, wie der Satz lautete, den er nicht sagte: Noch nie an jemandem, der mir am Herzen lag. Sie lächelten einander kurz an. Dann wurde Rose blass und sank in die Polster zurück.
    Morningstar schlug die Tür zu. «Besser, Sie beeilen sich», sagte er zu Knightley, der in diskretem Abstand gewartet hatte. «Was ist mit dem anderen?»
    «Beinbruch, daran stirbt man nicht.» Knightley klemmte sich hinters Steuer, wo ein Knäuel heraushängender Drähte von seinen Bemühungen zeugte, den Wagen zum Laufen zu bringen. «Kommt jemand mit?», fragte er und legte den ersten Gang ein.
    Morningstar wandte sich an die Nixe. «Ich werde gehen.» Er klopfte ihr auf die Schulter. «Du hältst dich besser von Krankenhäusern fern, Ondra, meine Liebe. Das Personal dort hat manchmal scharfe Augen.» Er ging um den Wagen herum und schenkte ihr ein Lächeln, ehe er einstieg. Dann verließ der letzte Wagen Broxton, das still und ausgestorben im schwindenden Licht lag. Die vor einem nun blassblauen Himmel leuchtenden Laternen gaben ihm ein unwirkliches Aussehen. Das frisch gewaschene Gras der Küstenhänge leuchtete unter den letzten Sonnenstrahlen.
    Adrian und Ondra schlenderten Arm in Arm den Kai entlang, auf dem Weg zum Cottage. Hier und da mussten sie über Scherben steigen, über einen aufgeklappten Koffer oder Wäsche, Dinge, die beim hastigen Packen aus den Fluchtautos gefallen
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