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Meerestochter

Meerestochter

Titel: Meerestochter
Autoren: Serena David
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wie zugeschnürt. Sie schaute ihn lange an. «Da hast du recht», sagte sie.
    Er schloss die Augen.
    Ondra hingegen hatte wieder begonnen zu denken. «Nun gut, du hast erst mich verraten, dann hast du sie verraten. Aber der springende Punkt ist doch: Du warst ein Mensch geworden, nicht wahr? Du hattest es gemacht wie ich. Aber schau dich an: Du bist wieder hier, du bist ein Meermann.» Die Erkenntnis wuchs in ihr mit jedem Wort, das sie sprach. Sie wuchs und wuchs und war so groß, dass sie am Ende nur mehr ehrfürchtig flüstern konnte. «Es gibt also tatsächlich einen Weg zurück.»
    «Deshalb sind wir hier, Süße.» Das war Auras glockenhelle Stimme.
    Ondra hatte Mühe, nicht in Tränen auszubrechen. Sie warf der Freundin einen wütenden Blick zu. «Hör auf mit der Loreley-Pose», zischte sie.
    Aura grinste und drehte an ihren Locken.
    «Sie hat recht.» Das war Nox’ Stimme, tief und sachlich. Und doch löste auch sein Ton etwas in Ondra aus. Wie sie ihn dafür hasste.
    «Vater?», wandte sie sich von ihm ab und an den Meerkönig. «Willst du das durch deine Handlanger klären lassen, oder bist du Manns genug, es mir selbst auseinanderzusetzen? Erklär mir: Wie wird man wieder ein Meermensch? Und sag mir bitte, dass es dabei nicht um Blut und Tod geht.»
    Es kostete ihren Vater Mühe, sich von Rose loszureißen, die halb abgewandt dastand und um Beherrschung rang. «Ja», gestand er endlich. «Es gibt einen Weg. Und ich will, dass du ihn gehst.» Er fand langsam zu seiner alten Autorität zurück. Das Wort «will» hallte nach wie der Klang einer Glocke.
    Und Ondra bemerkte, wie ihre Beine zitterten, diese neu erworbenen, unpraktischen, anfälligen Beine. Erstmals begann sie zu ahnen, dass sie scheitern könnte.
     
    Adrian joggte die Straße entlang, da die Fußwege alle im Schlamm versanken. Bis er von einem Lieferwagen, der in halsbrecherischer Fahrt durch die Serpentinen heizte, beinahe von der Straße geschleudert wurde. Mit einem Sprung rettete er sich auf die Seite, rutschte aus, fiel und schlitterte, ehe er es verhindern konnte, auf dem Rücken den Hang hinunter, bis er auf dem Straßenschotter in der nächsten Kurve landete. Die Erfahrung war schmerzhaft, aber erhellend, und er zögerte nicht, die Straße zu überqueren und die nächste Rutschpartie anzutreten. So schnell wie an diesem Tag war er noch nie unten in Broxton gewesen. Das Dorf sah seltsam aus, so deplatziert ohne das Wasser, künstlich beleuchtet vom Licht der Straßenlaternen, beinahe wie eine Filmkulisse. Alles schien verlassen zu sein. Adrian hörte seine eigenen Schritte zwischen den Hausmauern hallen, ein Tappen, gleichmäßig wie ein Uhrwerk. Er lief noch immer, obwohl er schon lange nicht mehr wusste, woher die Energie kam, die ihn noch antrieb. Bliebe er stehen, er würde umsinken. Aber solange er lief, war einfach keine Gelegenheit dazu.
    Weiter, dachte Adrian, weiter, weiter. Seine Schritte skandierten den Namen, an den er als Einziges dachte. Er war sein Rhythmus, sein Pulsschlag: Chris-ty. Chris-ty. Sie wartete dort vorne auf ihn. Morningstar hatte gesagt, sie sei hinausgegangen aufs Meer. Gott wusste, warum sie das getan hatte. Adrian verstand es nicht, und doch passte es zu ihr. Und sie passte zu ihm. Das wusste er inzwischen. Und er betete um die Chance, es ihr noch sagen zu dürfen.
    Dann kam der Moment, vor dem er sich gefürchtet hatte: Der Kai kam schon in Sicht, die Reihe der verschnörkelten Laternen, unter denen die Touristen im Sommer spazieren gingen. In ihrem Licht stand ein Mensch, hob beide Arme und winkte, nein, stemmte sich ihm entgegen. Und es geschah, was nicht hätte geschehen dürfen: Adrian blieb stehen. Unmittelbar darauf verkrampfte sich sein ganzer Brustkorb, der Hals schnürte sich zu, er bekam keine Luft mehr, konnte nicht mehr atmen, jedes Heben und Senken der Rippen tat weh. In seiner Kehle stieg es sauer auf.
    «Alles in Ordnung?», fragte Knightley besorgt.
    Adrian wandte sich ab und übergab sich. Alles, was herauskam, war gelbe Galle und Regenwasser.
    Diskret wartete Knightley, bis er sich den Schleim abgewischt hatte. «Ich will ja nicht drängen», sagte er. «Aber ich habe hier einen Verletzten, der sofort auf die Wache muss.»
    «Auf die Wache?» Adrian rang noch immer nach Luft. Er stemmte die Hände in die Seiten und krümmte sich. «Nicht ins Krankenhaus?»
    «Haben Sie einen Wagen hier?»
    Adrian schüttelte den Kopf. Er starrte den Mann auf dem Boden an. Langsam klärte sich sein
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