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Meerestochter

Meerestochter

Titel: Meerestochter
Autoren: Serena David
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Leben.›
     
    «Ja», erwiderte Adrian.
    «Was?», keuchte Morningstar, der an seiner Seite rannte.
    Adrian wandte den Kopf. Er begriff nicht ganz, was geschehen war. Er hatte laut gesprochen, ganz selbstverständlich war es über seine Lippen gekommen. Hatte er geträumt? War er schon weggetreten von der Anstrengung? Er atmete mit offenem Mund, seine Kehle war eng und fühlte sich sauer an. Seine Beine liefen wie von selbst, denn er hatte weder Kraft noch Ausdauer mehr. Und dennoch fühlte er sich mit einem Mal gestärkt und glücklich. Mit erneuter Hoffnung sprintete er los und feuerte die anderen an. Ja, dachte er, ja, ja. Er mochte die Frage nicht mehr wissen. Aber die Antwort war in ihm, erfüllte und beglückte ihn und drängte hinaus. Er schrie es: «Jaaaaaaa!» Adrian öffnete den Mund und ließ den Regen hereinkommen. Er schluckte und lachte und rannte und wedelte mit den Armen wie ein Kind. Sein Lachen war so ansteckend, dass die anderen beiden einfielen, auch wenn sie genauso wenig wie er wussten, warum. Lachend torkelten sie so durch den Regen. Und wer sie sah, musste sie für glücklich halten. Oder für verrückt.
     
    Das Lächeln Adrians lag noch auf Ondras Lippen, als sie sich den entstehenden Gestalten zuwandte. Das Band war da, und es war stark. Sie hatte sich nicht getäuscht. Nicht in sich und nicht in ihm: Er war ihr immer noch nah. Sie war hier, weil sie liebte, weil sie zusammengehörten, so oder so, und sie wusste, was sie tat.
    «Vater?», rief sie ungeduldig und stampfte mit dem Fuß auf.
    Endlich wurde vor ihnen eine ganze Reihe von Personen sichtbar. Ihre Gesichter und Oberkörper ragten aus der Wand, die Fischleiber blieben im Wasser zurück und schlugen von Zeit zu Zeit gelassen mit den Schwänzen, um das Gleichgewicht zu wahren.
    Zu ihrer Überraschung erkannte Ondra ihre Freundin Aura. Und da war Nox. Unwillkürlich runzelte sie die Stirn. Sie hatte den Meermann nie leiden können, so viel ihr Vater auch von ihm hielt. Oder gerade deswegen. Dass er hier war, konnte einfach nichts Gutes bedeuten.
    Rose neben ihr war mit einem Schlag verstummt. Vollkommen versunken betrachtete sie die Gestalten aus ihren Kindermärchen. Sie hatte sie gemalt, sie hatte einen von ihnen gekannt, doch nie in seiner wahren Gestalt. So sahen sie anders aus, tierischer, grausamer, älter. Rose schämte sich dieser Gedanken, doch sie empfand Furcht. Sie sind kalt, dachte sie, kalt wie die tiefe See.
    Da war eine Frau, offensichtlich jung, auch kokett, das konnte man sogar in diesem ernsten Moment erkennen. Sie unterließ es nicht, sich übers Haar zu streichen und zu lächeln, wenn der kleinere der Männer zu ihr hinsah. Auch er war jung, auch er war schön, auf eine königliche Weise, die man bei Menschen selten fand. Und doch sahen beide so alt aus wie die Welt, fand Rose. Unmöglich, ihre Jahre anzugeben. Ihre Augen ließen keinen Schluss zu außer dem, dass sie alles gesehen hatten, alles wussten, und – im Moment – alles verdammten.
    «Süße!» Es war die junge Meerfrau, die zuerst sprach. Oder nein, sie sang. Unmöglich, die Töne zu hören und nicht bewegt zu sein. Unwillkürlich griff Rose sich ans Herz. Sie wollte weinen. Sie wollte sich über die Augen fahren. Sie wünschte jemanden zu umarmen. Die Wirkung ließ nach, als Ondra nicht antwortete. Aber für einige Momente spürte Rose, was Odysseus empfunden haben musste, als er an seinen Mast gebunden war und den Lockgesängen der Sirenen lauschte. Rose empfand nachträglich noch ein aufrichtiges Mitgefühl für den Mann.
    Die Meermänner dagegen schienen unempfindlich. Der ältere hob nur die Hand, um anzudeuten, dass er keine Störungen mehr wünschte. Er trug einen Bart wie der Seekönig auf ihrem Gemälde, lang, so wallend und weiß, dass er selbst in der Finsternis hier draußen noch leuchtete. Sein Gesicht wurde davon halb verborgen. Doch sah man mehr davon, als er sich mit einer müden Geste über die Stirn strich und dabei die ebenfalls langen Haare beiseitehob. «Tochter», sagte er.
    Rose zuckte zusammen. Sie kannte die Stimme, sie kannte diese Stirn. Und die Augen kannte sie, deren Blick sie erfasste und festhielt, als sie den Mund öffnete und mit letzter Kraft ausrief: «Jonas!»
     
    Knightley war zu dem Schluss gekommen, dass er den verletzten Pensionsbesitzer nicht auf die Beine bekommen würde. Er hatte eine vom Wind verwehte Plastikplane entdeckt, Ned daraufgehievt, und zog ihn nun mit der rutschigen Schicht unter dem Hintern
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