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Meerestochter

Meerestochter

Titel: Meerestochter
Autoren: Serena David
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den Füßen Halt.»
    Ihre Füße scharrten über den nassen, schlüpfrigen Felsen in höchster Panik. Wieder und wieder rutschte sie ab. Bei jedem Ruck schloss Adrian die Augen vor Schmerz. Er hätte sie am liebsten angeschrien. «Nicht», murmelte er.
    Mit aufgerissenen Augen starrte sie ihn an.
    «Nicht loslassen», vollendete er den Satz.
    Maud nickte. Wie ein Kind. Entsetzen im Blick. Endlich fand ihr Fuß eine sichere Stelle. So hingen sie da, vorm Absturz bewahrt. Aber wie ging es weiter? Wenn er sie losließ, um einen besseren Halt zu suchen, würde sie das Gleichgewicht verlieren. Aber sein linker Arm würde sie beide nicht mehr lange halten können. Adrian wünschte, der Arm würde taub werden und absterben, damit der Schmerz endlich ein Ende hätte.
    «Maud.» Er wusste nicht, was er sagen würde.
    «Leben?» Sie stieß es zaghaft hervor, fragend fast. Ihre Augen bettelten ihn an.
    Adrian lächelte bitter. «So sind die Männer, nicht wahr? Nie halten sie ihre Versprechen.» Er legte den Kopf in den Nacken und stöhnte laut. «Aber ich tu, was ich kann. Ich lass dich nicht los.»
    Lächerlich, dachte er. Die eine liebe ich, die andere rette ich. Aber mit ihr rette ich auch mich selbst, denn wenn ich das nicht tue, kann ich auch nicht mehr lieben. Ist das eine Spirale, ein Teufelskreis, ein Denkfehler, eine Dummheit? Aber kam es darauf überhaupt noch an? Er hing hier, und er würde hier sterben. Und niemals würde Christy erfahren, dass er all das nur für sie getan hatte. Nur für sie. Langsam wurde es still in Adrian. Der Regen rauschte. Zum ersten Mal hörte er es. Es klang schön, fand er. Oder war es das Blut in seinen Adern? Nein, es war der Regen, der ihn herauswusch aus einer stillen, immer stiller werdenden Welt. Bald würde es vorbei sein. Bald.
    «Adrian?» Das war Maud. Er drückte ihre Schulter mit seinen tauben Fingern. Antworten konnte und wollte er ihr nicht mehr.

[zur Inhaltsübersicht]
43. Kapitel
    Die Bewohner Broxtons hatten sich endlich entschlossen. Flucht hieß ihr Ziel. Die letzten Autos fuhren mit quietschenden Reifen an, ein kurzer Stau auf dem Kai, viel Gehupe und Flüche, in den oberen Gassen ferne Motorengeräusche und Lichter von Scheinwerfern, die über die Hausmauern tasteten. Auch die Fischer hatten aufgegeben und krabbelten zurück aufs feste Land, um ihre Familien in Sicherheit zu bringen, soweit die das nicht schon selbst getan hatten. Man rief sich Treffpunkte zu, Uhrzeiten, Zielorte. Es wurde sehr laut, dann wieder still. Niemand beachtete die Männer am Fenster über dem Laden. Niemand hörte den Schrei, den Schuss, Knightleys Gebrüll und den dumpfen Aufschlag, als ein Mann geflogen kam und auf das Pflaster knallte, dort, wo an schönen Tagen das Werbeschild stand, das auf das «Seaside Home, 500 m» hinwies.
    Nebeneinander steckten Morgan und Knightley die Köpfe hinaus. «Der Mistkerl lebt», stellte der Wirt als Erster fest.
    Hinter ihm stöhnte sein Sohn. Er fuhr herum. «Wir brauchen einen Krankenwagen.»
    «Es wird keiner kommen.» Knightley hatte sein Handy hervorgeholt und noch einmal gewählt. Ein Blick aus dem Fenster sagte ihm, dass der Streifenwagen fort war. «Sogar meine sauberen Kollegen haben sich aus dem Staub gemacht.» Er überlegte. «Wir nehmen Ihren Lieferwagen.»
    «Aber Sie sagten doch, Ihrer wäre schneller?» Morgan stieß sich vom Fensterbrett ab und lief zu seinem Sohn. Er atmete rasch und hechelnd, wie eine Frau in den Wehen, seine Beine zuckten bei jedem Atemstoß, und seine Füße in den löchrigen Socken hoben sich jedes Mal ein wenig von dem schmutzigen Teppichboden ab. Die Blutlache war größer geworden, hatte sich weitergefressen durch Schmutz und Müll bis zum Sofa und ein Buch erfasst, dessen Seiten langsam in der roten Flüssigkeit aufweichten.
    Verbrechen und Strafe,
las Knightley. Das Ganze war eindeutig zu symbolisch für seinen Geschmack. «Hier», er drückte Patrick Morgan ein Küchenhandtuch in die Hand. «Pressen Sie das auf die Wunde. Wir müssen die Blutung stoppen, sonst verreckt er uns beim Transport.» Er schaute sich nach etwas um, das lang genug war, um es um Quentins mächtigen Leib zu binden. Der Vorhang fiel ihm ins Auge. Er trat näher. Ein Beweisstück, umso besser, dann hatten sie gleich etwas für den Abgleich im Labor. Er riss ihn mit einer entschlossenen Bewegung herunter, nahm sich noch die Zeit, einen Strang in einer Plastiktüte zu sichern, die in der Küche herumlag, und ihn in seine Tasche zu
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