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Meerestochter

Meerestochter

Titel: Meerestochter
Autoren: Serena David
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er.
    «Lange Geschichte.» Adrian war nicht nach Beichten zumute. Jetzt, da sie neue Hoffnung hatten, wollte er nur noch eines: rennen.
    So schnell sie konnten, liefen sie den schmalen Pfad weiter aufwärts, Maud so gut es ging zwischen sich. Sie stolperte und schwankte wie eine Puppe. Als einer ihrer Schuhe sich selbständig machte und in den Abgrund fiel, kam kurz Leben in sie. Sie jammerte auf.
    Adrian hielt inne, um seinen Griff neu anzusetzen. «Ich kauf dir neue», versprach er.
    «Kauf mir ’n Kran», war die Antwort.
    «Sehr witzig», erwiderte Morningstar, der allerdings wünschte, sie hätten so ein Gerät da und könnten sich damit aus der Gefahrenzone hieven lassen. «Nur noch fünfhundert Meter.»
    Sie waren vollkommen außer Atem, als sie die Kante der Steilwand erreichten. «Geschafft», stöhnte Adrian und sank ins Gras. Maud lag auf den Knien und weinte vor Erschöpfung. Einzig Morningstar, der noch nicht so lange unterwegs war, blieb halbwegs bei sich. Nach Luft ringend, die Hände in die Hüften gestemmt, den Oberkörper vorgeneigt, suchte er zu Kräften zu kommen und nachzudenken. Dabei störte ihn etwas. Er kam nicht sofort darauf, was es war.
    Dann hob auch Maud den Arm. «Das Meer», sagte sie.
    Ob sie sich daran erinnert, dass sie vor einer halben Ewigkeit schon einmal so dagesessen hat?, überlegte Adrian. Dann entfuhr ihm ein Fluch, denn er erkannte, dass sie seither um keinen Schritt weiter gekommen waren. Die Wasserwand dort draußen war nun mit ihnen auf Augenhöhe. Sie waren zwar oben, aber in Sicherheit waren sie nicht.
    «Wo ist Ihr Auto?», fragte Adrian, der sich noch gut an seine Joggingtour im Kielwasser von Morningstars Jaguar erinnerte.
    «Beim Cottage», antwortete Morningstar zögernd. Es bedeutete: zu weit weg.
    «Ihr Arschlöcher», fauchte Maud und versuchte, sich aufzurichten. «Ich werde von verdammten Dilettanten gerettet.»
    Adrian öffnete den Mund, um etwas zu seiner Verteidigung vorzubringen. Aber sie wies mit dem Finger auf ihn. «Du bist still», schrie sie. «Hörst du? Still.» Sie taumelte, aber sie stand aufrecht. Offenbar rang sie nach Worten. «Die nächste Erhöhung ist der keltische Hügel», stieß sie endlich hervor. «Der Kultplatz.»
    «Richtig», fiel es Adrian ein. «Er ist recht steil. Und oben steht ein Hünengrab.» Möglicherweise gelang es ihnen hinaufzuklettern. Als Kinder hatten sie das einmal geschafft. Die Aussicht war atemberaubend gewesen, daran erinnerte er sich. Und seine Knie aufgeschürft. Rose hatte ein wie die Hölle brennendes Jod daraufgestrichen am Abend. Nun, das würde heute seine kleinste Sorge sein.
    Hoffnungsvoll schaute Morningstar von einem zum anderen. «Ist es weit?», fragte er.
    Maud war bereits losmarschiert, in Schlangenlinien, aber entschlossen und ohne sich nach ihnen umzudrehen. Die ersten Schritte hinkte sie, bis sie auf die Idee kam, die überlebende Sandale vom Fuß zu ziehen. Dass sie sie fortschleuderte, anstatt sie mitzunehmen, wertete Adrian als gutes Zeichen.
    «Wir werden keine andere Wahl haben, als es herauszufinden.» Er nickte dem Mediziner zu. Dann hielt er inne. «Wenn Sie hier sind», sagte er, «wo ist dann Christy?»
     
    Ungeduldig betrachtete Ondra das Schauspiel. Im Geist ging sie die Sätze durch, die sie sagen wollte: Sie wissen nichts! Das war die Botschaft, die sie überbringen musste. Alle, die um die Existenz der Meermenschen wissen, stehen hier. Und sind bereit, die Konsequenzen zu tragen. Ihr war klar, dass sie damit log, dass sie Morningstar verschwieg. Sie musste seinen Namen und jeden Gedanken an ihn ganz weit zurückdrängen und so tief in sich vergraben, dass ihr Vater ihn nicht aufspüren konnte. Ondra war nicht sicher, ob ihr das gelingen würde. Falls nicht, musste sie ihren zweiten Trumpf ausspielen, die zweite Verteidigungslinie ziehen. Sie lautete: Lass Adrian gehen. Wenigstens ihn wollte sie retten. Wenn er sie auch verstoßen hatte, wenn er sie auch nicht mehr liebte, sie würde sich nie von ihm lossagen können. Und sie wollte nicht leben mit dem Wissen um seinen Tod.
    Das war der Plan. Wenn ihr Vater nicht darauf einging, dann schaffte sie es auf diese Weise vielleicht wenigstens, genug Zeit zu schinden, damit Adrian sich in Sicherheit bringen konnte. Auch die Macht ihres Vaters reichte nicht endlos.
    ‹Liebster›, dachte sie und bedauerte mehr denn je, dass sie die Kraft ihres Geistes, andere zu berühren, verloren hatte. ‹Liebster, lauf. Lauf um dein
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