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Bahners, Patrick

Bahners, Patrick

Titel: Bahners, Patrick
Autoren: Die Panik-Macher
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PATRICK BAHNERS
     
    DIE PANIKMACHER
     
    Die deutsche Angst vor dem Islam
     
    Eine Streitschrift
     
    KAPITEL I
     
    Eine Staatsaffäre. Gehört der Islam zu Deutschland?
     
    Man wende nicht ein, dass von Priestern einer falschen
Religion die Rede sei. So falsch war noch keine in der Welt, dass ihre Lehrer
notwendig Unmenschen sein müssen.
    Hamburgische Dramaturgie, Zweites Stück
     
    Was ist eigentlich los in Deutschland? Noch nie hat wohl
ein Bundespräsident mit einer öffentlichen Äußerung so viel Kritik auf sich
gezogen wie Christian Wulff mit der Rede, die er am 3. Oktober 2010, dem
zwanzigsten Jahrestag der Wiedervereinigung, in Bremen gehalten hat. Richard
von Weizsäcker hatte fünfundzwanzig Jahre zuvor, an einem anderen Gedenktag,
die Macht des deutlichen Präsidentenwortes demonstriert. Er stiftete einen
neuen Konsens, indem er aussprach, was ein erheblicher Teil des Publikums nicht
hören wollte: dass der Tag der deutschen Niederlage 1945 auch ein Tag der
Befreiung gewesen sei. Aber in den Tagen nach dem 8. Mai 1985 dominierte
Weizsäckers Rede nicht die Schlagzeilen. Die Spitzenpolitiker der Koalition aus
Union und FDP nutzten nicht jedes Mikrophon, um an der Wortwahl des
Staatsoberhaupts Anstoß zu nehmen, das sie erst vor kurzem ins Amt gebracht
hatten. Die Zeiten haben sich geändert. Wer damals Weizsäcker als Präsidenten
der Alliierten beschimpfen wollte, fand Gleichgestrickte noch nicht im
Internet, sondern musste seine Rundbriefe hektographieren. Der Comment, dass
jedenfalls die Inhaber hoher Regierungs- und Parteiämter Äußerungen des Bundespräsidenten
nicht kommentieren, wird nicht mehr beachtet, seit Wulffs Vorgänger Horst
Köhler darauf verfallen war, die Regierungsarbeit in regelmäßigen Abständen zu
benoten. So sagte zur Wulff-Rede jeder Politiker etwas, der den Eindruck
fürchten musste, dass Schweigen Zustimmung bedeute. Wenn derzeit die Rede auf
den Islam in Deutschland kommt, bricht der diskursive Notstand aus. Wulffs Kritiker
hielten es für zu gefährlich, im Zeichen dieses Themas zur Übung der Jahrzehnte
vor Köhler zurückzukehren, dass man Präsidentensätze, die man für unklug hält,
ohne Echo verklingen lässt. 1985 traf der Respekt vor dem Amt des
Bundespräsidenten zusammen mit speziellen Schicklichkeitsregeln, die sich an
das Thema des Nationalsozialismus knüpften. Wer Weizsäckers Formulierungen
selbst nicht verwendet hätte, sah doch in der Regel von einer ausdrücklichen
Missbilligung ab. Das Wort «Befreiung» zu vermeiden war das eine. Etwas ganz
anderes wäre es gewesen, zu Protokoll zu geben, man sei aber nicht befreit
worden. So konnte der Präsident sprachliche Tatsachen schaffen. In der
Diskussion über den Islam vertreten dagegen heute diejenigen, die sie
forcieren, entschieden die Meinung, es seien zu lange Rücksichten genommen
worden.
    Wulffs Aussagen über den Islam mussten auf Widerspruch
stoßen, ganz unabhängig vom Inhalt. Dass er das Thema überhaupt an sich zog,
wirkte schon provozierend. Denn alles, worüber der Präsident spricht,
verwandelt sich in einen Gegenstand besinnlicher Betrachtungen, die mit
Kopfnicken aufgenommen werden wollen, auch das Bundesverfassungsgericht oder
das Werk von Günter Grass. Als Wulff für Köhler einsprang, wurde ihm
bescheinigt, ihn empfehle die Fähigkeit, mit Unverbindlichkeiten lebhafte
Zustimmung zu erzeugen. Was Wulff dann am 3. Oktober sagte, war von einer
Harmlosigkeit, die das Nichtssagende streifte. «Der Islam gehört inzwischen
auch zu Deutschland.» Man verkenne aber die technischen Fertigkeiten des
Redners nicht, der alle Reibungsflächen zu entfernen versteht: Dieses genus humile kann ebenso effektvoll sein wie Weizsäckers Kunst, sich durch
dialektische Rückversicherung unangreifbar zu machen. Als somatische List darf
man Wulffs Methode charakterisieren. Einer augenfälligen
Selbstverständlichkeit sollen die Zuhörer beipflichten, aus der scheinbar noch
überhaupt nichts folgt. Mit dem Verb «gehört zu» hat Wulff den Islam und
Deutschland in ein Verhältnis gesetzt, ohne dieses Verhältnis irgendwie zu
bestimmen. Er hat der Religion der Muslime keine zunehmende Bedeutung
zugesprochen und sie keine Bereicherung genannt. Diese absolute,
unqualifizierte Zugehörigkeit ist nicht die schicksalhafte Zusammengehörigkeit
der Liebenden, Wulffs «gehört zu» ist nicht das «gehört zu» aus Marianne Rosenbergs
Hit «Er gehört zu mir». Eher wird man an Familienverhältnisse denken:
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