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Bahners, Patrick

Bahners, Patrick

Titel: Bahners, Patrick
Autoren: Die Panik-Macher
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sei bei seinen gesetzlichen Sachwaltern in den falschen Händen.
Durch sein unkluges Agieren bei der arbeitsrechtlichen Behandlung des Falls
Sarrazin hatte Wulff tatsächlich Zweifel an der Objektivität seiner Amtsführung
geweckt. Von Anfang an spielte die «Bild»-Zeitung in dieser Affäre, deren
Dynamik die Aufnahme von Wulffs Bremer Rede bestimmte, eine maßgebliche Rolle.
     
    Sloterdijks Manifest
     
    Thilo Sarrazin, Mitglied des Vorstands der Deutschen
Bundesbank, hatte schon im Herbst 2009 für einen Skandal gesorgt, als er in
einem Interview die große Mehrheit der türkischen Einwanderer in Deutschland
als wirtschaftlich nutzlosen moralischen Fremdkörper beschrieb und eine
Umstellung der Sozialpolitik nach Erkenntnissen der Vererbungslehre forderte.
Einige Formulierungen, über Gemüsehändler und Kopftuchmädchen, wurden schnell
zu geflügelten Worten. Das Interview erschien in einem Berlin-Heft von «Lettre
International». Diese Kulturzeitschrift bringt auf sehr großen Seiten sehr viel
Text in sehr kleinen Buchstaben unter. Scheinbar ist sie in allem das Gegenteil
der «Bild»-Zeitung. In einer anderen Kulturzeitschrift, die nicht ganz so lange
Texte auf teurerem Papier druckt, dem «Cicero», veröffentlichte Peter
Sloterdijk im November 2009 ein «bürgerliches Manifest». Aus philosophischer
Einsicht in den Stand des historischen Prozesses leitete Sloterdijk die
«objektive Aufgabe» der aus den Bundestagswahlen hervorgegangenen Regierung
von Union und FDP ab. Der Rektor der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in
Karlsruhe verlangte einen Neuanfang der Gefühlshaushaltspolitik: Die «Balance
zwischen den Primäraffekten der menschlichen Seele, den gierartigen Regungen
auf der einen Seite, den stolzartigen Regungen auf der anderen, griechisch
gesprochen: das Wechselspiel von Eros und Thymos», sei in Deutschland «völlig
verloren gegangen». Die Koalition habe daher die Pflicht, «dafür zu sorgen,
dass der Leistungsträgerkern der deutschen Population sich in Zukunft nicht nur
fiskalisch mitgenommen, sondern endlich auch politisch, sozial und kulturell
gewürdigt weiß». Sloterdijk kümmerte sich auch um die Bedingungen der
Möglichkeit der Aufgabenerledigung. Seinen Meinungen etwa über die
Wünschbarkeit einer Umstellung der Gemeinwohlfinanzierung von erzwungenen
Abgaben auf freiwillige Gaben stellte er eine Skizze der Landschaft voran, in
die er diese Meinungen pflanzte. Und mitten in dieser Landschaft lag ein
erschlagener Riese, von Zwergen zur Strecke gebracht, Thilo Sarrazin.
    Die oberste Priorität von Sloterdijks philosophischer
Politik war der Meinungsklimawandel. Leistungsträgerkerngeschäft: das
Agenda-Setting. Sloterdijk begrüßte sein Publikum mit einem Grundkurs in
Objektivität. Geschmeichelt erfuhr der «Cicero»-Leser, dass es sich dabei um
eine kulturelle Errungenschaft der europäischen Nationen handele. Die
Probephase habe im frühen achtzehnten Jahrhundert begonnen. Das Experiment des
objektiven Blicks ist der spielerische Rollentausch. Was sieht man, wenn man
sich versuchsweise im Geiste mit den Augen der anderen betrachtet? Der Baron de
Montesquieu erfand zwei persische Edelleute, die er in Briefen über ihre
Bildungsreise durch das Abendland berichten ließ. Der aufklärerische Witz der «Persischen
Briefe»: Den Besuchern aus dem Orient ist die christliche Leitkultur, das in
diesen Breiten mehr oder weniger fraglos Gültige, gerade nicht
selbstverständlich. Sloterdijk wünschte sich eine Aktualisierung des
Klassikers. «Es ist höchste Zeit, scheint mir, wieder einmal die Perser
einzuladen, damit sie einen verfremdenden Blick auf die Zustände in unserem
Land werfen.»
    Montesquieus muslimische Kulturtouristen, daheim im
rationalen Gebäude ihres strengen Eingottglaubens, erzählen beispielsweise
amüsiert von den intellektuellen Umgangsformen der christlichen Derwische, der
Mönche. Lässt man sich mit ihnen auf einen theologischen Disput ein, erreicht
man irgendwann immer den Punkt, an dem sie kein Argument mehr vorbringen,
sondern auf die unfehlbare Auskunft ihres obersten Priesters verweisen. Welche
kuriosen Gebräuche müssten den Grübelpersern befremdlich erscheinen, die
Sloterdijk gerne einladen würde? «Was den von außen kommenden Beobachtern
unserer Verhältnisse sicher am stärksten ins Auge springen würde, obschon es
für uns durch seine Alltäglichkeit fast unsichtbar geworden ist: Wir haben uns
- unter dem Deckmantel der Redefreiheit und der
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