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Meerestochter

Meerestochter

Titel: Meerestochter
Autoren: Serena David
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der Typen schöne Augen.
    Was ich mir wünsche, ist viel komplizierter, dachte Ondra. Das glaube ich jedenfalls. Ich weiß es ja nicht einmal selber genau. Ach, verdammt, verdammt. Ein letzter Blick zum Ufer, wo rote, blaue und gelbe Glühbirnen leuchteten. Es schien eine Menge los zu sein in dieser warmen Augustnacht. Alle wollten sich noch einmal amüsieren, ehe der Sommer zu Ende ging. Aura hatte sich inzwischen bestimmt schon verwandelt.
    Verbittert betrachtete Ondra ihre Schenkel, die dicht unter der Hüfte zu einem perlmuttern glänzenden, türkisfarben geschuppten Fischschwanz zusammenwuchsen, von dessen fächerförmiger Flosse das Meerwasser tropfte. Ein lautes Tuten schreckte sie auf. Seewärts wurden die roten und grünen Positionslichter eines Fischerkahns sichtbar.
    Mit einer geschmeidigen Bewegung, schneller als eine Schlange, glitt Ondra ins Wasser und tauchte davon. Zurück blieb ein einsamer Felsen, der im Mondlicht verlassen dalag, als wäre nichts gewesen.

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2. Kapitel
    Wie ein Delphin, angetrieben von kaum merklichen Körperbewegungen, glitt Ondra durch das dunkle Wasser. Erst als sie das leise Knirschen des Kieses hörte, der in den Wellen der Brandung sanft geknetet wurde, tauchte sie auf. Vor ihr im Mondschein lag die versteckte Bucht, die sie manchmal aufsuchte. Ein kleiner Halbmond aus Sand leuchtete ihr entgegen, am Fuß einer Felswand gelegen. Ein Pfad schlängelte sich an den Felsen bis zu einem der seltsam glatten schwarzen Wege hinauf, die die Menschen für ihre Krachmaschinen anlegten.
    Hier unten war alles still. Nur das Schlagen der Wellen und die verschlafenen Rufe einiger Seevögel waren zu hören. Ondra nahm den Duft der niedrigen Kiefern wahr, die oben auf einem Absatz wuchsen. Gierig sog sie den Geruch ein, der so anders war. Diesen Duft nach Harz und Rosen, nach nassem Stein, nach Quarz und ein wenig auch nach fernem Rauch.
    Ondra ließ sich treiben. Eine flache Welle ergriff sie, trug sie über die Kiesel und auf den Sand. Mit einer geschickten Drehung entzog Ondra sich der letzten Berührung des nassen Elements. Mit einem Mal kam sie sich plump vor und schwer. Sie schnappte nach Luft, als der letzte Rest Wasser aus ihren Lungen floss; die Kiemen hinter ihren Ohrläppchen schlossen sich wie ängstliche Blumen.
    Schwere, dachte Ondra und geriet in Panik – wie jedes Mal, wenn sie sich verwandelte. Stillhalten, ermahnte sie sich, es wird bald vorbei sein. Zuerst kam immer dieses Gefühl. Vorher war sie Ondra gewesen, eine Meerjungfrau, eins siebzig groß mit Schwanz, hüftlanges schwarzes Haar, zwei Arme, eine gerade Nase, annehmbarer Busen, zu viele krause Gedanken im Kopf. Aber jetzt zerfloss sie wie eine Qualle auf dem Felsen. Sie verlor jede Kontur und jede Grenze. Mit einem Mal, für einen kurzen Moment, war sie alles. Sie fühlte, wie sie sich auflöste, wie alles in sie eindrang und sich mit dem vermischte, was einmal sie gewesen war: die geschwätzigen Sandkörner, die sich vor Jahrmillionen von einem Berg gelöst hatten, die Holzstückchen, uralt auch sie, aus längst gestorbenen Wäldern, die Muschelschalen und Seeigelkadaver, die hilflos treibenden, losgerissenen Seesterne mit ihren tastenden Tentakeln. Strandflöhe hüpften durch ihre Gedanken, Federn bohrten sich schmerzhaft in ihre Haut und wollten sie hochheben. Sie spürte pelzige Tierchen, die schnellfüßig durch ihre Synapsen huschten, schmeckte Blut, fühlte Panik, Jagd und Flucht, Pulsschläge, Tausende von schnellen Pulsschlägen, die ohrenbetäubend in ihrem Kopf dröhnten. Aufhören! Es sollte einfach aufhören! Ondra hob die Arme – hatte sie Arme? –, um sich das zuzuhalten, was sie für ihre Ohren hielt. Sie schrie.
    Und dann kam der Schmerz. Wie ein Messer fuhr er durch ihren Unterleib, von der Flosse bis in ihren Schoß. Er riss sie herum, spaltete sie. Es fühlte sich an, als wühle eine Messerklinge in ihrem Fleisch, unerträglich. Ondra rollte sich auf den Bauch und zog schutzsuchend die Knie an den Leib. Aber. Auch das. Würde. Enden.
    Sie sagte es sich wieder und wieder, schrie es sich in Gedanken selbst zu, wie gegen einen Sturm. Unter Aufbietung aller Kräfte kam sie auf die Knie. So stand sie da, auf allen vieren, mit vor Schmerz und Angst bebenden Flanken. Aber es war besser, viel besser schon. Ondra knurrte wie ein Tier. Alles floss aus ihr heraus, die fremden Stimmen verließen sie, all die Gedanken, Gefühle, die Unruhe, alles floss zurück wie eine riesige
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