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Meeresblau

Meeresblau

Titel: Meeresblau
Autoren: Britta Strauß
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starrte er sie an, während er ein Häufchen Tang zwischen den Fingern zermahlte. Sie hatte ihren Namen genannt? Sie wollte, dass er bei ihr war?
    „Ja“, bestätigte sie seine Gedanken. „Das will ich.“
    „Warum?“
    Die Meerfrau lächelte verträumt, als hätte etwas ihre Gefühle zum Klingen gebracht. „Du hättest sterben müssen. Ich rettete dich zu spät, denn obwohl ich Hilfe hatte, war der Weg zu dir weit. Viel zu weit, um rechtzeitig zu kommen. Als ich dich an diesen Strand brachte, war ich sicher, dich sterben zu sehen und deine Seele befreien zu müssen. Doch mit ihrem Namen auf den Lippen hast du um jeden Atemzug gekämpft. Ohne Maya hätten wir dich verloren. Geh zu ihr. Sie ist deine Bestimmung.“
    Ihre Worte erstaunten ihn und taten weh, auch wenn er nicht sagen konnte, weshalb. „Und was tust du?“
    „Ich kehre zu meinesgleichen zurück“, sagte sie. „Mir gefällt es oben im Norden nicht. Das Wasser schmeckt schlecht, die Quallen liegen schwer im Magen und es ist kalt.“
    Jetzt musste er lächeln. Zum ersten Mal empfand er Zuneigung zu diesem Wesen. „Kennst du den Weg zu den Inseln?“
    „Ja“, antwortete sie. „Vor langer Zeit bin ich an ihnen vorbeigezogen. Schwimm, mein Freund. Kehre zurück zu der Menschenfrau, der du dein Leben verdankst.“
    Christopher nickte sprachlos, von heftiger Ungeduld befallen. Er hatte sich in ihr getäuscht während all der Zeit, in der er sie für gefühllos und besitzergreifend gehalten hatte. Schnell verspeiste er die Früchte, gab ihr in Ermangelung passender Worte einen Einblick in seine Gefühle und sprang auf, um zum Meer hinunterzurennen. Wenigstens versuchte er es, doch nach mehreren wackeligen Schritten fand er sich unvermittelt auf dem Rücken im Sand liegend wieder.
    „Törichter Jungfisch.“ Die Meerfrau schüttelte missbilligend den Kopf. „Ruh dich ein paar Tage aus und iss, was ich dir bringe. Dann bist du vielleicht kräftig genug, um weiterzuschwimmen.“
Die Grand Banks vor der Küste Neufundlands
    E ine Wand aus Luftblasen stieg aus der Tiefe herauf. Tausendfach perlten die Blasen über seinen Körper und hüllten ihn in einen silbrigen Schleier. Die Klicklaute der Orcas wurden lauter. Den aufsteigenden Blasen würde ein Fischschwarm folgen, denn die Wale trieben ihre Beute so schnell in Richtung Oberfläche, dass die Luft beim Auftauchen aus den Leibern der Gejagten gedrückt wurde.
    In der Strömung schwebend sah er den Schwarm auf sich zukommen. Eine glitzernde Masse aus Fischen, die sich panisch zusammenballte und damit ihr Schicksal besiegelte. Abertausende Tiere schossen auf ihn zu, teilten sich vor ihm, umströmten seinen Körper wie ein flirrender Strom aus Silber und schlossen sich wieder zu einem Schwarm zusammen.
    Ihnen folgten fünf schwarz-weiße Riesen. Aus den Atemlöchern der Orcas entwichen Luftblasen, bildeten einen Vorhang und trieben den Fischschwarm zusammen. Wie ein funkelnder Wirbelsturm drängten sich die Tiere dicht an dicht unter der Oberfläche, folgten einem uralten Instinkt, der sie der Vernichtung preisgab.
    Er bewunderte die Wale für ihre Schönheit, für ihr Geschick und ihre Stärke, doch sie gehörten zu den grausamsten Geschöpfen der Meere. Delfinen und kleineren Walen bissen sie die Flossen ab, um sie an der Flucht zu hindern. Sie hetzten stundenlang Buckelwalkälber, nur um nach ihrem Tod die Zunge zu fressen. Gerne spielten die Orcas mit Robben, schleuderten sie mit brutalen Schlägen ihrer Fluken hoch aus dem Wasser oder zerquetschten sie zwischen Gaumen und Zunge, bis das Fleisch aus der Haut herausgedrückt wurde. Wie Geister schwebten die Häute jener Unglückseligen im Meer umher. Manchmal töteten die Orcas ihre Beute auch nur, um die Kadaver unangetastet zurückzulassen. Meist geschah es, wenn Mütter ihren Kälbern das Jagen zeigten oder wenn eine Gruppe junger Wale die Lust auf Zeitvertreib verspürte. Man mochte es Verschwendung nennen, doch im Meer ging nichts verloren. Was die Orcas nicht fraßen, nahm ein anderes Lebewesen nur zu gerne an, und im Gegensatz zum Menschen gab ein Wal das, was er genommen hatte, nach seinem Tod vielfach zurück. Zahllose Geschöpfe ernährte er über Monate hinweg, bis selbst seine Knochen auf dem Meeresgrund aufgezehrt wurden und nichts zurückblieb außer Schlamm.
    Er gönnte seinem müden Körper Ruhe, trieb still dahin und beobachtete die Jagd der Orcas. Klickend und pfeifend umkreisten sie den Schwarm, bildeten eine perfekte Einheit, in der
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