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Meeresblau

Meeresblau

Titel: Meeresblau
Autoren: Britta Strauß
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ihr, als sie den letzten Strich malte und zurücksank, vor Ergriffenheit die Tränen. Es war vollendet. Das Kanu ihres Lebens, das Abschied und Anfang zugleich symbolisierte. Das alte Dasein, in dem zu viel Schuld auf ihr lastete, lag nun endgültig hinter ihr.
    Eine Woche lang ließ sie die Malereien trocknen. Erst dann trug sie ein spezielles Gemisch auf, das das Holz vor den Elementen schützen würde. Viele Jahre lang würde die Farbe so frisch bleiben, während das Kanu selbst, nach uraltem Wissen gebaut, Jahrhunderte überdauern konnte.
    „Komm zurück“, flehte sie, als sie am Abend der Vollendung ihres Werkes in der Brandung stand. „Bitte komm zurück.“
    Keine Antwort erreichte sie. Nichts regte sich in ihrem Inneren. Keine Nähe, kein Versprechen. Vor ihr lag nichts als die Weite des Meeres.

    Maya und Jeanne flankierten ihn auf der grünen Chaiselongue im Arbeitszimmer seines Vaters. Er hielt ein Buch in denHänden und las ihnen daraus vor:
    „Sterblicher Erdenwurm, was hast du mir zu sagen? Woher nimmst du dir das Recht, meine Wellen mit deinem Schiff zu zerschneiden und meine Kinder zu töten? In die Tiefe will ich’s ziehen, hinab zum Meeresgrund. Nähren sollst du die Fische mit deinem Fleisch und deinem Blut. Höre, Mensch, ich bin die See. Nie wirst du mich bezwingen.“
    Er hörte Jeanne lachen. Maya flüsterte ihm zärtlich eine Liebeserklärung ins Ohr und hauchte Küsse auf seinen Hals. Er zog sie in seine Arme und sank zurück in die Polster. Es duftete nach Früchten. Ein lauer Wind strich ihm über das Gesicht.
    Wind? Früchte?
    Christopher zuckte hoch. Das Zimmer verschwand. Jeanne und Maya verschwanden. Unter sich erfasste er weißen Sand, über ihm schwangen Palmwedel im Wind. Das Meer rauschte, den aquamarinblauen Himmel betupften weiße Seeschwalben. Alles in ihm bestand aus Schmerz. Ihm war übel, ein ekelhafter Geschmack erfüllte seinen Mund und seine Arme schienen kaum kräftig genug, um sich darauf abzustützen. Dieser Zustand weckte eine Erinnerung. Er hatte sich schon einmal so gefühlt. Vor langer Zeit auf einem Schiff.
    „Wie fühlst du dich?“
    Eine Stimme durchdrang den Wind. Schmeichelnd und hell. Er blickte hinter sich und sah die Meerfrau, wie sie, ein Palmenblatt in den Händen haltend, graziös auf ihn zuschritt. Der Wind hatte ihre Haare getrocknet und ließ sie wie einen Schleier um ihren Oberkörper wehen.
    „Wo bin ich?“, hörte er sich sagen und kippte kraftlos hintenüber. „Was ist passiert?“
    Statt einer Antwort legte sie das Palmenblatt neben ihm ab und setzte sich. Duftende Früchte waren um eine Makrele drapiert worden, verziert mit Häufchen aus zusammengerolltem Tang.
    „Gewagte Kombination.“ Er ignorierte die Übelkeit, stemmte sich hoch und nahm mit spitzen Fingern den Fisch heraus. Ein Instinkt sagte ihm, dass er dringend Nahrung brauchte.
    „Was meinst du?“, fragte sie.
    Er schüttelte nur den Kopf. Langsam kaute er auf dem Makrelenfleisch herum, verwendete alle Konzentration darauf, sich nicht zu übergeben. In seiner Erinnerung war es nach wie vor dunkel, doch er glaubte, erste Schemen erkennen zu können. Er war auf dem Weg zurück nach Skye gewesen. Dann war etwas geschehen. Aber was?
    „Warum bin ich hier?“
    „Versuch, es laut zu sprechen“, bemängelte die Meerjungfrau. „So wie ein Mensch. Sonst verlernst du das Sprechen.“
    Christopher stutzte. Er hatte sich derart an die mentale Art des Gedankenaustauschs gewöhnt, dass er nicht einmal darüber nachgedacht hatte.
    „Was ist passiert?“, presste er laut hervor und erschrak über seine Stimme. Cal hatte recht. Sie klang wie plumpes Grunzen und Stöhnen. Und jetzt, da er sich an seinen Freund erinnerte, tauchten auch die anderen Bilder aus seinem Gedächtnis auf. Feuerland, der Pottwal, die Wüste aus Öl. Er hatte aufgegeben und dem Tod ins Auge geblickt.
    „Als das Wasser mir sagte, dass du krank warst, befand ich mich gerade vor der Küste des Landes, das ihr Brasilien nennt.“ Die Menschensprache der Meerfrau klang weitaus angenehmer als die seine. „Ich kehrte um, suchte nach dir und brachte dich hierher.“
    „Wo ist hier?“ Er schnupperte an der Haut seines Armes. Noch immer nahm er den scharfen Geruch der Chemikalien wahr, deren Rückstände vermutlich noch in seinem Körper zirkulierten.
    „Eine kleine Insel. Vermutlich haben die Menschen auch für sie einen Namen, aber ich kenne ihn nicht. Ruh dich aus, und dann kehre zurück zu Maya.“
    Verblüfft
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