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Meeresblau

Meeresblau

Titel: Meeresblau
Autoren: Britta Strauß
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dass man lediglich die ersten Tage des Alleinseins genoss und später die Leere kommen würde, schleichend wie ein Schatten, der sich langsam über einen legte. Oder wie ein lauerndes Tier, das unvermittelt aus seiner Deckung springt und über sein Opfer herfällt. Aber Maya wusste sehr gut, was Einsamkeit bedeutete. Als Jugendliche hatte sie manche Tage und Nächte draußen in der Wüste verbracht, auf sich allein gestellt und umgeben von einer Stille, die nicht viele Menschen ertragen konnten, weil sie nur einen Weg zuließ – die die Rückkehr zu sich selbst.
    Geschützt von ihrem Unterstand begann sie am Morgen des zweiten Tages ihre Arbeit am Kanu. Unbemerkt floss die Zeit dahin. Der Abend kam, die Nacht und ein neuer Morgen. Ihm folgten weitere Tage, kamen und gingen leise, unaufhaltsam und gleichgültig in ihrem Fluss. Ganz gleich, ob es stürmte oder regnete, ob die Sonne brannte oder Nebel alles verhüllte, baute Maya von morgens bis abends an ihrem Lebenswerk. Nach und nach nahm das Gerüst Gestalt an, ließ die schlanke Eleganz des Kanus bereits erahnen und weckte neue Hoffnung. Vielleicht würde er kommen, sobald dieses Boot fertig war. Vielleicht würde genau das der richtige Zeitpunkt sein.
    Konzentriert arbeitete sie weiter, legte all ihre Liebe in jedes Stück Holz, das sie zusammenfügte und in jede Leiste, die sie auf das Gerüst nagelte. Viele Tage vergingen, denn sie ließ sich Zeit und hielt oft inne, um in der Brandung zu stehen und auf das Meer hinauszusehen. Manchmal fütterte sie die Möwen und Seeschwalben, weshalb sich die Tiere bald näher heranwagten und als die letzte Leiste festnagelt worden war, das Brot sogar aus ihrer Hand fraßen.
    Drei Mal während dieser Zeit kamen Jeanne, Alan und Solander auf einen Besuch vorbei. Sie redeten, tranken Tee, wälzten Unterlagen, besprachen Pläne und schwelgten in Erinnerungen. Sie sprachen von Hoffnung, Zuversicht und einer blendenden Zukunft, die ihren Anfang nehmen würde, sobald Christopher zurückkehrte.
    Falls er zurückkehrte. Gut möglich, dass er sich für ein Leben fern von ihr entschieden hatte, an der Seite seiner Artgenossen. Vielleicht war ihm während seiner weiten Wanderung etwas zugestoßen oder er wurde aufgehalten. Es gab so viele Dinge, die ihm gefährlich werden konnten. Tiere, Menschen, Stürme, Umweltgifte, das Meer selbst.
    Maya vertrieb ihre düsteren Gedanken und arbeitete weiter. Irgendwann sah das Kanu für den unwissenden Betrachter fertig aus, doch sie wusste, dass die mühsamste Arbeit erst jetzt begann. Eine weitere Woche verbrachte sie damit, das Zedernholz glatt zu schleifen und zu polieren. Wieder und wieder, bis es sich anfühlte wie Seide. Anschließend folgte eine wasserabweisende Schicht, die sie stundenlang in meditativer Ruhe auftrug und kreisförmig einrieb, bis jede Holzfaser durchtränkt war. Nur, um anschließend eine zweite und eine dritte Schicht aufzutragen.
    Zusehends nahm das Kanu seine wahre Gestalt an. Mit seiner fortschreitenden Vollendung kamen auch die Kräfte in ihrem Inneren ins Gleichgewicht. Sie schmeckte einen Hauch des Friedens, nach dem sie sich sehnte, doch vollkommen würde er erst sein, wenn Christopher wieder bei ihr war.
    Der Mann, den sie liebte. Ihr Fabelwesen.
    Mittlerweile machte ihr die Kälte des Meeres nichts mehr aus, wenn sie in der ersten Morgendämmerung darin badete. Auch spürte sie nicht mehr die Kälte des Windes oder die Härte des Bodens, auf dem sie schlief. Strähnig und verfilzt hingen ihr die Haare über die Schultern, ihre Hände waren schartig von all den Schrammen, Kratzern und Splittern.
    Viele Wochen waren verstrichen, als sie mit den letzten Arbeiten begann. Die Spätfrühlingssonne schien von einem wasserblauen Himmel herab, auf den Klippen blühten Teppiche zarter Wildblumen. Während sie das Kanu mit schwarzer Grundierung bemalte, lief ihr der Schweiß in Strömen über die Haut. Als nach zwei Tagen die Farbe vollkommen durchgetrocknet war, begann sie, mit Königsblau einige Symbole auf das Kanu zu malen.
    Geduldig zeichnete sie einen stilisierten Orca auf den Bug, ließ seine Schwanzflosse in verschlungenen Linien enden, die sich zum Heck hin verbreiterten und zu einem Hirsch zusammenfügten. Das Symbol des Wassers und das des Landes, eng miteinander verbunden.
    Dieselben Figuren brachte sie auch auf der anderen Seite an, obwohl ihre künstlerische Ader nicht feinfühlig genug war, um beide Seiten gleich aussehen zu lassen. Ungeachtet dessen kamen
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