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Meeresblau

Meeresblau

Titel: Meeresblau
Autoren: Britta Strauß
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jedes Tier auf das andere abgestimmt war. Unvermittelt schoss einer der Wale vor und peitschte mit seiner Schwanzflosse durch den Schwarm. Dutzende Fische taumelten betäubt umher, eine leichte Beute für die wartenden Orcas. Der Jäger wiederum schlug erneut zu. So lange, bis ein anderer Wal diese Aufgabe übernahm, und er selbst sich ins Festmahl stürzte.
    Der Lärm dieses Treibens lockte weitere Räuber an. Sturmtaucher schossen wie helle Blitze durch das Wasser, schnappten sich die Fische und stiegen wieder in die Lüfte auf. Robben huschten umher, Delfine und Haie zerschnitten im Fressrausch das Wasser.
    Bald kündeten von dem einst riesigen Fischschwarm nur noch glitzernde Schuppen, die wie Schneeflocken in die Tiefe rieselten. Das Spiel aus Fressen und Gefressenwerden endete. Die Jäger zerstreuten sich, glitten hinaus in das offene Meer und nahmen ihre Wanderungen wieder auf.
    Ein Orcaweibchen aber folgte seinem Ruf. Er hielt sich an ihrer Finne fest und zeigte ihr das Bild jener Insel, die ihr Ziel sein würde.
    In der Zwischenzeit war ihm klar geworden, dass eine Verwandlung umso schwerer fiel, je länger er in seinem natürlichen Körper blieb, also nahm er die Gestalt eines Menschen an und setzte sich rittlings auf den Rücken des Wales. Er streichelte er über die Haut des Tieres, vermittelte seine Dankbarkeit für die Hilfe. Die glatte Fläche fühlte sich wunderbar an. Fest und makellos, als wäre sie mit nassem Satin überspannt.
    Gemeinsam zogen sie durch die ruhige See in den anbrechenden Abend hinein. Eisberge leuchteten in gespenstischem Blau, als fingen sie die Dämmerung in ihrem Inneren ein, der lapislazuliblaue Himmel schmückte sich mit Sternen. Ohne es zu bemerken, schlief er ein, von den monotonen Bewegungen des Orcas eingelullt. Als er am frühen Morgen erwachte, umgab ihn eine trübe, undurchdringliche Nebelsuppe. Wie ein Geist fühlte er sich, als sie durch diese stille Welt aus Dunst glitten. Nirgendwo regte sich etwas. Selbst die Wellen schienen den Atem anzuhalten.
    Immer wieder sackte er nach vorn, schläferte ihn das graue Nichts und das sanfte Auf und Ab des Körpers unter ihm ein. Irgendwann glitt in der Nähe ein Fischkutter vorbei. Christopher sah ihm im Halbschlaf nach, zu müde, um klar zu denken. Die Männer ihrerseits starrten wie vom Donner gerührt auf das seltsame Bild, das sich ihnen zeigte. Wie musste ihre Geschichte klingen, wenn sie sie erzählten?
    Im Morgennebel ritt ein nackter Mann auf einem Orca an uns vorbei …
    Er hörte die Stimmen der Menschen, den Klang eines Radios und das Rauschen der Bugwelle, dann verschwand dieser Bote seiner alten Welt im Dunst. Ihm kam das Mädchen aus seinem Buch in den Sinn, das sich von einem Narwal über das Meer hatte tragen lassen. Er dachte an den Krieger, der am Leben zerbrochen war und von den Göttern der See verwandelt wurde. In vielen Legenden wurden Inseln von Menschen bevölkert, die auf Walen über das Meer gekommen waren. Skurril war es, an solche Märchen zu denken, während man selbst auf einem Orca saß. Wer wusste schon, wie viel Wahrheit in solchen Geschichten lag?
    Tag um Tag reisten sie weiter, Nacht um Nacht, durchquerten auf dem Rücken des Nordatlantischen Stromes einen ganzen Ozean, sahen die Küste Nordirlands an sich vorbeiziehen und passierten die Inseln Islay und Mull.
    Nach einer endlosen Folge aus Sonnenauf- und -untergängen tauchte eine vertraute Silhouette in der Ferne auf. Majestätische Klippen leuchteten im ersten Sonnenlicht, Seevögelschwärme kreisten über ihnen. Christopher erstarrte. Er blickte aufSkye. Seine Insel. Nach so langer Zeit, nach so vielen Odysseen sah er ihre Strände und Felsen wieder und hatte das Gefühl, niemals fort gewesen zu sein.
    Er vermittelte dem in die Hochsee zurückschwimmenden Wal seine Dankbarkeit und legte den Rest des Weges aus eigener Kraft zurück. Immer entlang der Küste in Richtung Norden. Kleine Dörfer zogen an ihm vorbei, Häfen und einige der rar gesäten Städte. Je näher er seinem Ziel kam, umso heftiger tobte seine Nervosität. Er glaubte, Maya zu spüren. Ihre Gedanken, ihre Sehnsucht. Aber vielleicht war es nur Illusion.
    Und dann sah er ihn. Den Strand mit Jacks Hütte. Er sah die Dünen, die Kiefern auf der Klippe und das windschiefe Haus.
    Ungläubig betrachtete er das Bild. Wie lange war er fort gewesen? Er rang seine Ungeduld nieder, beobachtete die Umgebung, überzeugte sich, dass niemand in der Nähe war und wagte sich erst dann aus dem
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