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Treue in Zeiten Der Pest

Treue in Zeiten Der Pest

Titel: Treue in Zeiten Der Pest
Autoren: Philipp Espen
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    Frühling 1318. Verletzte Liebe
     
    Die Luft im Gasthaus von Quimper war zum Schneiden. Die Stimmung unter den Gästen hatte ihren Höhepunkt erreicht. Es war einer jener Abende, an denen jede Not vergessen wird, alle Sorgen zum Stillstand kommen und die Menschen sich in Sicherheit wiegen. Bootsleute und Steinmetze, Arbeiter der Bauhütte und Matrosen saßen zusammen, tranken und erzählten.
    Die Kalvarienberge, die rund um die Stadt errichtet wurden, brachten Hunderten von Familien Arbeit und Brot. Und auch an der Kathedrale sollte weitergebaut werden. Dies wünschte neben dem asketischen Priester Josselin Rohan auch der Bischof von Brest, der sogar schon den neuen, hochfahrenden Turm gesegnet hatte. Die Zukunft der kleinen Hafenstadt an der Odet sah somit rosig aus. Jeder, der darum bat, bekam eine Anstellung. Schon machten die ersten Arbeiter Schulden, Tagelöhner ließen anschreiben, Geldwechsler stellten unbedenklich Kreditgeschäfte in Aussicht, die Zinsen stiegen. Und wer es sich leisten konnte, der trank, bis er unter den Tisch fiel.
    Ein Sänger, der sich selbst auf einer Laute begleitete, saß auf einem der dicken Bohlentische und sang ein keltisches Liebeslied. Seine Stimme erhielt durch die fremde Sprache einen ungewohnt kehligen Klang. Der Vortrag erinnerte die Gefährten daran, dass Henris Knappe in diesem Augenblick vielleicht ebenfalls ein Liebeslied sang, für seine Angebetete, die er nach so langer Zeit endlich Wiedersehen durfte. Die Gefährten lauschten dem Gesang und hingen ihren Gedanken nach.
    Die letzten Wochen waren seltsam gewesen. Während ihres Ritts von Süden herauf hatten sich zwar keine größeren Zwischenfälle ereignet, doch die Freunde hatten die allgemeine Verwirrung, die in Frankreich herrschte, nicht übersehen können.
    Hatte es mit dem Kometen zu tun, der seit Wochen am Himmel zu sehen war? Überall waren Henri de Roslin, sein Knappe Sean of Ardchatten und seine beiden Freunde Uthman ibn Umar und Joshua ben Shimon auf düstere Vorzeichen gestoßen. Auf Menschen, die nicht mehr ein noch aus wussten. Auf Geißler, Propheten, Henker und Hexenjäger. In der Champagne hatten zahlreiche Menschen ihre Häuser verlassen, um nach Lirey zu pilgern und das Leichentuch Christi anzubeten. Man erwartete das Ende der Zeiten. Viele Felder lagen brach, und wo noch ausgesät worden war, fraßen Vögel die Saat.
    Die Gefährten versuchten zu vergessen. Joshua lachte verhalten auf. Er folgte seiner Angewohnheit, in die hohle Hand hineinzukichern. Henri und Uthman blickten den Freund überrascht an.
    »Was ist, warum lachst du, mein Alter?«, fragte Uthman.
    »Ich musste gerade an Sean denken. Ich sehe ihn vor mir, wie er seine Angélique anhimmelt und nicht weiß, ob er singen oder Flöte spielen soll, und vielleicht sogar versucht, beides gleichzeitig zu tun.«
    »Joshua!« Henri bemühte sich, ernst zu klingen. »Du machst dich über einen liebeskranken Knaben lustig, das solltest du nicht. Erinnere dich an deine eigene Jugend.«
    Joshua, der den Knappen besonders mochte, hörte auf zu kichern. »Vielleicht singt ja auch Angélique ein Lied für ihn. Und er überlegt dabei, ob sie begabt ist oder nicht. Die Sängerfeste in der Provence, die er in den letzten Monaten miterleben konnte, scheinen ihn immerhin gelehrt zu haben, schönen Gesang von schlechtem zu unterscheiden. Er ist selbstbewusst geworden, unser Sean.«
    »Hoffentlich«, meinte Uthman. »Denn nichts ist lächerlicher als ein liebeskranker Gockel, der nicht merkt, wie schlecht er singt.«
    »Wie die vielen Gecken in den engen, bunten Strumpfhosen, deren Gekrächze wir in Arles und den umliegenden Dörfern zu hören bekamen«, warf Henri lachend ein. »Aber ich wäre froh, wenn dies unsere einzige Sorge wäre.«
    »Es ist nicht einmal einen Mondumlauf her, da entgingen wir knapp dem Tod«, erinnerte sich Uthman. »Die Provence ist ein Land der Wohlgerüche und ein Land des Lichts, aber damit scheint sie auch eine ganze Menge Gesindel anzuziehen, Raubritter und Unholde.«
    »Es gab dort in der Tat zu viele Häscher, die uns verfolgten«, seufzte Henri. »Die Welt scheint nur noch aus Spionen zu bestehen.«
    »Hier in der Bretagne ist zum Glück alles friedlich«, versuchte Joshua zu beschwichtigen.
    »Freue dich nicht zu früh«, sagte Henri und blickte zum Eingang der Schenke hinüber. »Dort kommt Sean. Und ich sehe, er macht ein Gesicht, als sei ihm der Leibhaftige erschienen.«
    »Tatsächlich! Was mag er
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