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Mathias Sandorf

Mathias Sandorf

Titel: Mathias Sandorf
Autoren: Jules Verne
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übersieht man mit Leichtigkeit das Geviert ihrer Hausdächer, von den Abhängen des Hügels an bis zum Ufer des Golfes. Es war also nicht unmöglich, dem Fluge der Taube zu folgen, wenn man sie von der Spitze jenes Thurmes aus auffliegen ließ, und zweifellos, daß man das Haus auf dem sie sich dann niederließe, gut erkennen würde, vorausgesetzt eben, daß ihr Bestimmungsort Triest, und nicht eine andere Stadt der istrischen Halbinsel war.
    Der Versuch mußte gelingen. Wenigstens verdiente er eine Probe. Es war vorläufig nichts weiter zu thun, als dem Thiere die Freiheit wiederzugeben.
    Sarcany und Zirone verließen also den alten Kirchhof, überschritten den kleinen Platz vor der Kirche und wendeten sich dem Thurme zu. Eine der Spitzbogenthüren stand offen – zufällig diejenige, welche sich unter dem senkrecht unter der Nische des heiligen Justus befindlichen antiken Traufdache aufthut. Beide Männer traten ein und begannen die rohen Stufen der Wendeltreppe hinaufzusteigen, welche zu dem oberen Stockwerke führen.
    Sie brauchten zwei bis drei Minuten, ehe sie den Ausblick erreichten, der sich unter dem Dache des Thurmes selbst befindet, da diesem eine äußere Gallerie fehlt. Hier oben sind auf jeder Seite des Thurmes zwei Fenster angebracht; sie geben dem Besucher die Möglichkeit, den Blick nach allen Seiten schweifen zu lassen, so weit der doppelte Horizont des Meeres und des Gebirges es gestattet.
    Sarcany und Zirone postirten sich an dasjenige Fenster, welches in der Richtung nach Nordwest, direct auf Triest zu gelegen ist.
    Die Uhr in dem alten Schlosse aus dem sechzehnten Jahrhundert, welches auf der Rückseite der Kathedrale den Karst krönt, schlug gerade die vierte Stunde. Es war also noch heller Tag. Inmitten einer klaren Luft sank die Sonne langsam zum Adriatischen Meere hinab und die meisten Häuser der Stadt wurden auf der Seite, die dem Thurme zugekehrt war, von ihren Strahlen übergossen.
    Die Umstände lagen also so günstig als irgend möglich.
    Sarcany nahm die Taube zwischen seine Hände, er ließ ihr edelmüthig noch eine letzte Liebkosung zu Theil werden und warf sie in die Luft.
    Sie regte die Flügel, doch ließ sie sich zuerst pfeilschnell hinab, wohl aus Furcht, ein zu jäher Sturz könnte ihrem lustigen Botendienste ein Ende machen.
    Ein lauter Aufschrei der Enttäuschung entfuhr dem sehr aufgeregten Sicilianer.
    »Ha, sie erhebt sich wieder!« rief Sarcany.
    Und in der That, die Taube begann in der unteren Luftschicht ihr Gleichgewicht wiederzufinden; sie schlug einen Haken und wandte sich in schräger Richtung dem nordwestlichen Theile der Stadt zu.
    Sarcany und Zirone ließen sie nicht aus den Augen.
    Der Flug des Thieres, welches von einem wunderbaren Instinct geleitet wurde, zeigte kein Schwanken. Man fühlte, daß sie dahin flog, wohin sie zu fliegen hatte, dorthin, wo sie schon vor einer Stunde eingetroffen wäre, wäre ihr nicht unter den Bäumen des alten Kirchhofes ein gezwungener Aufenthalt bereitet worden.
    Sarcany und sein Genosse beobachteten die Taube mit einer fast ängstlichen Aufmerksamkeit. Sie fragten sich, ob sie wohl über die Mauern der Stadt hinaus fliegen würde, in welchem Falle ihr Vorhaben zu Wasser geworden wäre.
    Sie hatten Glück.
    »Ich sehe sie noch immer! rief Zirone, der ein ungemein scharfes Auge besaß.
    – Wir müssen namentlich aufpassen, antwortete Sarcany, wo sie sich niederlassen wird, um danach die Lage der Dinge genau feststellen zu können.«
    Einige Minuten nach ihrem Auffluge senkte sich die Taube auf ein Haus, dessen Giebel die anderen überragte Es lag inmitten der Baumgruppe, in welcher sich auch das Hospital und der öffentliche Park befinden. Dort schlüpfte sie in ein Mansardenfenster, wie man deutlich erkennen konnte, über welchem eine Wetterfahne aus Schmiedeeisen sich drehte, die gewiß aus der Hand von Quentin Messys hervorgegangen wäre, wenn Triest in Flamland gelegen hätte.
    Einen allgemeinen Ueberblick hatte man nun gewonnen, und es konnte nicht sehr schwer fallen, wenn man die leicht erkennbare Wetterfahne zum Ausgangspunkte der Operationen nahm, den Giebel aufzufinden, in welchem besagtes Mansardenfenster angebracht war, und somit das Haus, in welchem der Empfänger des Billets wohnte.
    Sarcany und Zirone stiegen schnell hinunter; sie gingen durch die Abhänge des Karstes und einige kurze Straßen entlang, die sie zur Piazza della Legna brachten. Dort mußten sie sich weiter orientiren, um die Häusergruppe ausfindig
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