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Mathias Sandorf

Mathias Sandorf

Titel: Mathias Sandorf
Autoren: Jules Verne
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Instinctes der Brieftaube, und nicht die Benützung der Post oder des Telegraphendrahtes, daß es sich um eine Angelegenheit handelte, welche ein zuverlässiges Schweigen zur Bedingung machte.
    »In diesen Zeilen ruht vielleicht ein Geheimniß, sagte Sarcany, welches unser Glück ausmachen kann.
    – Dann wäre also, antwortete Zirone, diese Taube die Darstellerin des Zufalles, dem wir heute Vormittag lange genug nachgelaufen sind. Gottes Blut! Und ich wollte sie erwürgen!… Wie die Sache aber liegt, ist es das Wichtigste, daß wir den Boten haben und nichts soll uns daran hindern, uns diesen Boten schmecken zu lassen.
    – Nur keine Uebereilung, Zirone, rief Sarcany, der so noch einmal dem Vogel das Leben rettete. Vielleicht besitzen wir in diesem Vogel eine Handhabe, die es uns ermöglicht, die Bekanntschaft mit dem Adressaten des Billets zu machen, vorausgesetzt natürlich, daß er in Triest wohnt.
    – Und was dann? Jener wird Dir doch nicht erlauben, zu lesen, was dieser Brief enthält, Sarcany?
    – Nein, Zirone.
    – Wir wissen auch nicht, woher er stammt.
    – Allerdings nicht. Aber wenn ich von zwei Leuten, die Briefe miteinander wechseln, einen kenne, so kann mir dieser Umstand behilflich sein, den zweiten kennen zu lernen. Mit einem Worte, ich glaube, man darf dieses Thier nicht tödten, sondern muß im Gegentheil ihm seine Kräfte wiedergeben, daß es an seinen Bestimmungsort gelangt.
    – Mit dem Billet? fragte Zirone.
    – Mit dem Billet, von dem ich aber zuvor eine genaue Abschrift nehmen werde; diese werde ich so lange bei mir behalten, bis die Gelegenheit gekommen sein wird, sie nutzbar zu machen.«
    Sarcany zog ein Notizbuch aus seiner Tasche und copirte mit einem Bleistift das Schreiben. Da er wohl wußte, daß in den meisten Fällen die sichtbare Einordnung der Schriftzüge der Geheimschriften wohl bewahrt bleiben muß, so ließ er es sich angelegen sein, die Wortstellung genau nachzuahmen. Als das geschehen, behielt er die Abschrift in seinem Notizbuche, das Billet selbst steckte er wieder in den kleinen Sack und letzteren unter den Flügel der Taube.
    Zirone sah ihm zu, er konnte indessen die Hoffnungen auf das Glück nicht theilen, welches dieser Vorfall herbeiführen sollte.
    »Und was nun? fragte er.
    – Jetzt, erwiderte Sarcany, lasse Deine Sorgfalt dem Boten angedeihen.«
    Die Taube war mehr durch Hunger, als von der Ermüdung mitgenommen. Auch waren die Flügel unverletzt und zeigten weder einen Bruch noch eine Beschädigung; es bewies das also, daß ihre augenblickliche Schwäche nicht durch ein Schrotkorn eines Jägers oder durch den Steinwurf eines nichtsnutzigen Jungen veranlaßt worden war. Sie hatte Hunger und Durst, sonst fehlte ihr nichts.
    Zirone sachte also und fand zu ebener Erde einige Körner, welche das Thier gierig verschluckte; mit fünf oder sechs Tropfen aus einer kleinen Wasseransammlung, welche der letzte Regenguß in einem Bruchstücke antiker Töpferarbeit zurückgelassen hatte, stillte es seinen Durst. Eine halbe Stunde nach ihrer Ergreifung war somit die gestärkte und ausgeruhte Taube im Stande, ihren unterbrochenen Flug wieder aufzunehmen.

    »Wenn sie noch weit zu fliegen hat, ließ Sarcany sich hören, wenn ihre Bestimmung sie noch über Triest hinausführt, so geht es uns wenig an, ob sie unterwegs fällt; denn wir würden sie doch bald aus den Augen verlieren und können ihr unmöglich folgen. Wenn sie aber zu einem Triester Hause gehört, dort erwartet wird und daselbst sich niederlassen muß, so ist sie gekräftigt genug, um es erreichen zu können, denn sie hat bis dahin nur eine oder zwei Minuten zu fliegen.–
    – Du hast vollständig recht, antwortete der Sicilianer. Aber werden wir auch bis dahin, wo sie ihren Schlag hat, blicken können, selbst wenn sie nur bis Triest und nicht weiter fliegt?
    – Wir wollen wenigstens unser Möglichstes in dieser Hinsicht thun« meinte Sarcany gelassen.
    Es geschah Folgendes:
    Die aus zwei alten romanischen Kirchen bestehende Kathedrale, von denen die eine der heiligen Jungfrau, die andere dem Schutzpatrone von Triest, dem heiligen Justus geweiht ist, wird von einem hohen Thurme geschützt, der sich auf der Ecke jenes Theiles der Façade erhebt, in welcher sich die große Einsatzrose befindet; unterhalb dieser öffnet sich das Hauptthor des Gebäudes. Dieser Thurm beherrscht das Plateau des Karstes und die Stadt breitet sich unter ihm, wie eine in Relief gearbeitete Karte aus. Von diesem hochgelegenen Punkte aus
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