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Mathias Sandorf

Mathias Sandorf

Titel: Mathias Sandorf
Autoren: Jules Verne
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auch auf die Tochter übergehen können, nach dem Gesetze der Primogenitur. Dank diesem neuen Statute bestieg Maria Theresia im Jahre 1740 den Thron ihres Vaters Karl VI, des letzten Sprossen der männlichen Linie des Hauses Oesterreich.
    Die Ungarn mußten sich der Gewalt fügen.
    Zu der Zeit, in welcher unsere Erzählung anhebt, gab es einen hochgeborenen Ungarn, dessen Leben nur der Hoffnung galt, seinem Lande die einstige Selbständigkeit wiederzugeben. Er hatte in seiner Jugend noch Kossuth gekannt und obwohl seine Abstammung und seine Erziehung ihn hinderten, in wichtigen politischen Fragen mit diesem denselben Strang zu ziehen, so hatte er dennoch das große Herz dieses Vaterlandsfreundes bewundern müssen.
    Der Graf Mathias Sandorf bewohnte in einem der Comitate Siebenbürgens, im District von Fogaras, ein altes Schloß feudalen Ursprunges. Dieses Schloß, auf einer der nördlichen Spitzen der östlichen Karpathen errichtet, welche Siebenbürgen von der Walachei trennen, erhob sich auf dieser zerklüfteten Gebirgskette in seiner ganzen wilden Schönheit, wie einer solcher letzten Zufluchtsorte, in denen sich Verschworene bis zum Aeußersten halten können.
    Benachbarte Minen, deren Gehalte an Eisen und Kupfererzen sorgfältig ausgebeutet wurden, bildeten für den Besitzer des Schlosses Artenak eine sehr bedeutende Einnahmequelle. Diese Domäne umfaßte einen Theil des Districtes von Fogaras, dessen gesammte Bevölkerung sich auf wenigstens zweiundsiebzigtausend Einwohner beläuft. Diese Städter und Bauern machten kein Hehl daraus, daß sie dem Grafen wandellos treu ergeben waren; für die Wohlthaten, die er dem Lande erwiesen, dankten sie ihm mit grenzenloser Anhänglichkeit. Daher war dieses Schloß der Gegenstand einer ganz besonderen Ueberwachung, welche von der ungarischen Kanzlei in Wien, die völlig unabhängig von den anderen Ministerien des Reiches arbeitet, in Scene gesetzt worden war. Man kannte hohen Ortes die Ansichten des Herrn von Artenak und fühlte sich dieserhalb beunruhigt, wenn nicht gar wegen der Persönlichkeit des Grafen selbst.
    Mathias Sandorf war damals fünfunddreißig Jahre alt. Seine Figur, die etwas über das Durchschnittsmaß hinausging, verrieth eine bedeutende Muskelstärke. Auf breiten Schultern ruhte ein Kopf mit einer edlen und stolzen Haltung. Das etwas eckige Gesicht, dessen Farbe eine warm angehauchte war, zeigte den magyarischen Typus in voller Reinheit. Die Lebhaftigkeit seiner Bewegungen, die Knappheit seiner Rede, der feste und gemessene Blick seines Auges, die lebendige Circulation seines Blutes, welche sich den Nasenflügeln mittheilte, ein schwaches Zucken in den Mundwinkeln, ein gewohnheitsmäßiges Lächeln auf den Lippen, das untrügliche Zeichen von Güte, eine gewisse Aufgeräumtheit im Gespräche und in den Geberden – alles das kündete eine freimüthige und hochherzige Natur an.
    Einer der hervorragendsten Charakterzüge des Grafen Sandorf war, daß er noch nie eine Beleidigung verziehen hatte und nie eine solche verzeihen konnte, welcher seine Freunde zum Opfer fielen, während er sich um seiner selbst willen sehr unbesorgt zeigte und bei Gelegenheit sogar zu einem ihm zugefügten Unrecht gute Miene zu machen im Stande war. Er besaß einen in hohem Grade entwickelten Gerechtigkeitssinn und haßte jede Treulosigkeit. Daraus entsprang bei ihm eine persönliche Unversöhnlichkeit. Er gehörte durchaus nicht zu denen, welche Gott allein die Sorge überlassen, die Strafen in dieser Welt auszutheilen.
    Es muß hier betont werden, daß Mathias Sandorf eine sehr ernste Erziehung genossen hatte. Anstatt der ihm durch sein Vermögen gebotenen Muße zu fröhnen, war er seinen Liebhabereien gefolgt, die ihn zum Studium der physikalischen und medicinischen Wissenschaften führten. Er wäre ein sehr talentirter Arzt geworden, wenn die Nothwendigkeit, davon leben zu müssen, ihm Kranke in die Behandlung gegeben hätte. Er begnügte sich daher damit, ein von den Gelehrten sehr geschätzter Chemiker zu sein. Die Pester Universität, die Akademie der Wissenschaften in Preßburg, die königliche Bergbauakademie in Schemnitz, die Normalschule in Temesvar hatten ihn nacheinander zu ihren begabtesten Schülern gezählt. Dieses vom Studium erfüllte Leben vervollständigte und bestärkte seine natürlichen Anlagen. Es machte aus ihm einen Mann in der weitgehendsten Bedeutung des Wortes. Als ein solcher wurde er auch von allen denjenigen betrachtet, die ihn kannten, und ganz
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