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Mathias Sandorf

Mathias Sandorf

Titel: Mathias Sandorf
Autoren: Jules Verne
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welcher tripolitanischen Höhle hatte er in den ersten Jahren seines Lebens sein Dasein gefristet? Welche Aufmerksamkeit bewahrte ihn vor den vielfachen, zerstörenden Krankheiten jenes entsetzlichen Klimas? Niemand fürwahr, wußte es zu sagen – vielleicht er selbst nicht einmal –; geboren durch Zufall, dem Zufalle überlassen, schien er bestimmt, dem Zufalle zu leben! Er hatte indessen während seiner Jünglingszeit eine gewisse praktische Bildung sich bereits anzueignen oder vielmehr zu empfangen gewußt; er dankte sie wahrscheinlich dem Umstande, daß sein bisheriges Leben ihn gezwungen hatte, die Welt zu durchstreifen, mit Leuten jeden Standes Gemeinschaft zu haben, Ausweg auf Ausweg zu finden, und wäre es nur, um des Tages Nothdurft zu befriedigen. So war er und in Folge verschiedener Umstände seit Jahren bereits mit einem der reichsten Häuser Triests in Verbindung gekommen, dem Hause des Banquiers Silas Toronthal, dessen Name mit dem Verlaufe unserer Geschichte eng verknüpft ist.
    In dem Gefährten Sarcany’s, dem Italiener Zirone, erblickt man nur einen von jenen Menschen, die Glauben und Gesetz nicht kennen, einen Abenteurer, der, zu allen Schandthaten bereit, dem ersten besten, wenn er gut zahlt, oder dem Nächsten, der noch besser zahlt, zu Diensten steht, gleichviel zu welchem Geschäfte. Sicilianer von Geburt und in den dreißiger Jahren stehend, war er ebenso fähig, schlechte Rathschläge zu ertheilen, als sie anzunehmen und namentlich, sie auszuführen. Wo er geboren wurde, würde er vielleicht verrathen haben, wenn er es gewußt hätte. Er gestand jedenfalls nicht gern ein, wo er zu Hause war, wenn er es überhaupt irgendwo war. In Sicilien hatte ihn eine von den Zufälligkeiten des Landstreicherlebens mit Sarcany in Verbindung gebracht. Sie waren dann gemeinsam in die Welt hinausgelaufen und hatten versucht, auf rechtem und auf unrechtem Wege ihr beiderseitiges Mißgeschick zu gemeinsamem Glück zu wenden. Zirone aber, ein großer, bärtiger Bursche mit sehr gebräuntem Teint und tiefschwarzem Haar, hatte nur mühsam die ihm angeborene Schurkerei zu verbergen gewußt, die seine stets halb geschlossenen Augen und das beständige Senken seines Kopfes verriethen. Unter einem Uebermaße von Schwatzhaftigkeit indessen suchte er seine Verschlagenheit zu verbergen. Er war im Uebrigen mehr heiter als traurig und ließ sich in demselben Maße gehen, als sein Genosse sich verschlossen zeigte.
    An dem genannten Tage aber sprach auch Zirone nur mit einer bemerkbaren Mäßigung. Die Essensfrage erfüllte ihn sichtlich mit Unruhe. Der Abend vorher hatte gelegentlich einer kleinen Partie in einer Spielhölle niedrigen Ranges, woselbst sich das Glück allzu stiefmütterlich gezeigt, die Hilfsquellen Sarcany’s völlig erschöpft. Beide wußten nicht, was nun werden sollte. Sie konnten nur auf den Zufall rechnen, und da diese Vorsehung der Lumpen sich nicht beeilte, auf dem Wege längs des Molos zu ihnen zu stoßen, so entschlossen sie sich, ihr durch die Straßen der Neustadt vorauszuwandern.
    Dort auf den Plätzen, auf den Quais, auf den Promenaden diesseits und jenseits des Hafens, an den Landungsstellen des großen Canals, der Triest durchschneidet, geht, kommt, stößt sich, haftet und müht sich im Eifer des Geschäftes eine Bevölkerung von siebzigtausend Einwohnern italienischer Abstammung, deren Sprechweise, welche auch diejenige Venedigs ist, sich in dem kosmopolitischen Sprachenconcerte aller dieser Seeleute, Kaufleute, Commis, Handwerker verliert, in dem Idiome, das aus dem Deutschen, Französischen, Englischen und Slavischen hervorgegangen zu sein scheint.
    Wenn auch diese Neustadt eine reiche ist, so soll damit durchaus nicht gesagt sein, daß diejenigen, welche man dort in den Straßen sieht, auch sämmtlich vom Glück begünstigte Sterbliche sind.
     

    Sarcany und Zirone schwiegen erstlich… (S. 13.)
     
    Nein! Selbst die Geschicktesten würden nicht mit den englischen, armenischen, griechischen, jüdischen Kaufleuten wetteifern können, die das Pflaster Triests beherrschen und deren prächtige Paläste der Hauptstadt des österreichisch-ungarischen Reiches zur Zierde gereichen würden.
    Wer wollte die armen Teufel zählen, die sich vom frühen Morgen bis zum späten Abend dort in den vom Geschäftsverkehr erfüllten Avenuen umhertreiben, die von hohen, fest wie die Geldspinden verschlossenen Baulichkeiten eingefaßt sind, in denen wiederum Waaren jeder Gattung zur Schau liegen, wie es
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