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Gruber Geht

Gruber Geht

Titel: Gruber Geht
Autoren: Doris Knecht
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Gruber geht aus dem Zimmer, geht aus der Wohnung, geht aus dem Haus. Es ist sechs Uhr früh; ein Taxi wartet schon am Rand des Gehsteigs, der Fahrer steigt aus und öffnet Gruber den Kofferraum. Guten Morgen. Guten Morgen. Gruber setzt sich nach hinten, legt Umhängetasche und Trenchcoat neben sich, dabei knistert das Kuvert boshaft in seiner Manteltasche. Ein grelles Unbehagen rast durch Gruber und legt einen Augenblick lang sein Bewusstsein lahm. Nein, gar nicht daran denken, nicht (der Schmerz schläft noch, seit drei Tagen schon, okay, einfach schlafen lassen) daran denken. Gruber ignoriert das ungute Gefühl und steckt die Kopfhörer an sein iPhone, geredet wird jetzt nicht. Nur nicht reden um diese Zeit. Überhaupt nicht reden mit Taxifahrern, nie mit Taxifahrern reden. Der iPod spielt Dylans «Tell Tale Signs», die Bootlegs, das Beste, wie Gruber findet, das Dylan in den letzten Jahren veröffentlicht hat. Gruber hört seine Musik passend zur Tageszeit und passend zur Aussicht. Dylan passt immer. Es ist noch dunkel, die Straßen sind leer, die Stadt hat ihre Betriebstemperatur noch nicht erreicht. Nach fünfzehn Minuten fährt das Taxi an der Ölraffinerie vorbei, ein Moment, den Gruber auch beim tausendsten Mal nicht verpassen möchte. Dylan singt über das Mädchen vom «Red River Shore», und wie er sie heiraten will, und wie sie ihm ihren besten Rat gibt: dass er heimgehen und ein einfaches Leben leben soll. Gruber starrt auf die vorbeiziehenden Lichter der Raffinerie, Hunderte, Tausende von nackten Glühbirnen an Containern und auf Türmchen und Masten, glühendkalte industrielle Schönheit. Ein einfaches Leben. Hm. Gruber denkt an das Kuvert, an den Scheißtag, der vor ihm liegt, er denkt an den Abend, er denkt an Denise, vielleicht wird er heute mit Denise schlafen. Er denkt an Denise, Dööönis, wie sie unter ihm liegt und ihm nicht in die Augen schaut. Er war allerdings, na ja, letztes Mal danach irgendwie unlocker ihr gegenüber, brüsk, und hat dann zwei oder drei ihrer Mails nicht beantwortet. Vielleicht wird er heute doch nicht mit ihr schlafen. Nicht: Deniiise. Dööönis.
    Dann sind sie am Flughafen. Gruber zahlt, steigt vorsichtig aus (nicht den Schmerz wecken), hebt, diese stinkfaulen Wiener Taxler, seinen Koffer selbst aus dem Kofferraum und zieht ihn über die Straße zum Terminal A. Sein Trolley wiegt, er weiß das, er hat das zuhause überprüft, zwei Mal hat er es überprüft, genau  7 , 7  Kilo, das geht als Handgepäck durch. Gruber hat keine Zeit fürs Warten an Gepäckbändern: Von einem Bein aufs andere treten. Auf die Uhr schauen. Sich eine gute Position sichern. Das Leben vorbeiziehen sehen. Auf die Uhr schauen. Auf die Uhr schauen. Auf die Uhr schauen. Er ist froh, dass er niemanden hier kennt; es gibt wahrscheinlich nichts Entsetzlicheres als Smalltalk frühmorgens am Gate. Im Trolley befinden sich zwei gute Hemden, ein Slimane-Anzug, ein Unterhemd, zwei Boxershorts, zwei Paar Socken, ein Kabel für sein Notebook, ein Akku für sein iPhone und sein gesamter Hygienebedarf in  75 -ml-Plastikflaschen, Shampoo, Conditioner, Duschgel, Rasierwasser. Danke  9 / 11 . Er braucht seinen Trolley nicht aufzugeben, die Formalitäten sind schnell erledigt, unter anderem weil Gruber sich an sein Prinzip für solche Situationen hält, wenngleich dieses im diametralen Widerspruch zu seiner Persönlichkeit steht: Immer freundlich zu Dienstleistern sein. Natürlich nur aus Gründen des Vorteils. Das ist, Gruber hat es ausprobiert, zeitsparend und damit nutzbringend. Immer freundlich zu sein, immer zuvorkommend. Jedenfalls solange es keinen konkreten Anlass zu entschiedener Unfreundlichkeit gibt. Hier und jetzt gibt es ihn nicht. Hier und jetzt hat er es, wie meistens um diese Zeit, mit einer unausgeschlafenen jungen Frau in schlecht sitzender, billiger Uniform zu tun, die es gewohnt ist, von unausgeschlafenen Passagieren überheblich und grob behandelt zu werden. Diese hier hat zu schwarze Haare, zu stark gezupfte Augenbrauen, zu klumpige Wimperntusche und zu viel solariumfarbenes Make-up im Gesicht. Sie reagiert auf Grubers muntere Freundlichkeit extrem positiv. Nein, euphorisch. Grubers Trolley könnte auch zwölf Kilo wiegen, kein Problem.
    Im Flieger sitzt Gruber allein in der linken Dreierreihe, auf der anderen Seite sitzt eine Frau allein in der rechten Dreierreihe. Die Frau wirft begehrliche Blicke auf seine Zeitungen, und Gruber reicht ihr, nachdem sie etwas von verschlafen und
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