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Gruber Geht

Gruber Geht

Titel: Gruber Geht
Autoren: Doris Knecht
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die am dümmsten aussehende Fotze mit dem breitesten, gewaltbereitesten, dumpfsten Muskeltrottel direkt neben sich. Tötung auf Verlangen, würde Kathi sagen, Tötung auf Verlangen, definitiv. Und lachen würde sie. Und er hat versucht, Denise anzurufen, er hat etwa, hm, zwanzig Mal versucht, Denise anzurufen, und zwei Mal hat sie auch abgehoben. Einmal hat sie gesagt, sie kommt nicht, dann hat sie gesagt, er soll nicht mehr anrufen, er hat ihr dann achtzehn Nachrichten hinterlassen, der Zärtlichkeitsquotient dabei, nun ja, rapide abfallend. Irgendwann hat er nur noch aus Prinzip angerufen, aus dem Gruberschen Aufgeben-gibt’s-nicht-Prinzip, dann am Ende aus Hass, einfach nur noch, um sie zu quälen, um ihr wirklich lästig zu sein und die Nacht zu verderben, weil sie es nicht besser verdient hat. Und um sie dazu zu bringen, über ihn nachzudenken, ihn schließlich auch zu hassen und vielleicht ein bisschen Angst vor ihm zu kriegen. Die dumme Fut. Wenn Denise abgehoben hätte, wäre er der bescheuerten Fickblonden nie auf die Pelle gerückt. Knallrosa Lipgloss, heilige Scheiße. Er muss wirklich dicht gewesen sein. Er will jetzt nicht noch länger über die dumme Blonde und ihren hirnamputierten Zuhälter mit der kecken Unterschichtstolle, Modell Mecklenburg-Vorpommern, nachdenken, denn sonst könnte ihm früher oder später noch im Detail wieder einfallen, wie er die Schwanzlutscher von diesem Konzern, nun ja, beschimpft hat. Er will daran jetzt nicht denken. Er will, dass die Seractil wirken und er will eine Zigarette, und dann will er sich eventuell sein Gesicht im Spiegel ansehen und dann etwas dagegen tun, dass es so aussieht, und dann. Und dann. Dann ruft er möglicherweise Kathi an. Oder schickt ihr eine SM S . Oder sowas.

Letztes Jahr im Juli waren wir alle gemeinsam in Kroatien. Die Mutter ist siebzig geworden, sie hat es sich gewünscht. Sie hat die Termine koordiniert und das Haus gemietet. Es war schwer, Johnny dazu zu bewegen, sich Urlaub zu nehmen, und er kam dann auch nur für zwei Tage nach. Hat aber eh gereicht. Hat allen total gereicht, nur die Kinder fanden ihn lustig. Das Haus war schön, ein großes altes Haus am Meer mit schön abgetretenen, dick lackierten Dielenböden, großen Zimmern mit alten Holzbetten, einer überdachten Terrasse aus Stein, rundherum Rosen, Lilien, Olivenbäume. Eine Treppe aus flachen Steinen führte zum Wasser. Das Meer war unvorstellbar türkis. Die perfekte Idylle. Und Johnny steht jeder Art von Idylle, sagen wir, reserviert gegenüber. Nein, ablehnend, ganz besonders wenn er merkt, dass sie inszeniert ist. Und natürlich war sie das; Mutter wollte
schön
siebzig werden, nicht irgendwie.
Schön.
Es sollte alles richtig schön sein. Das packt Johnny nicht. Dagegen rebelliert er wie ein Vierzehnjähriger. Dass so etwas funktioniert, daran glaubt Johnny nicht, da muss, meint er, irgendwo ein Zünder eingebaut sein, und früher oder später geht es hoch. Ex- oder implodiert. Johnny steht daneben, beobachtet und wartet. Man kann sehen, jeder kann sehen, wie er darauf wartet, bebend, händereibend. Er weiß, dass es passieren wird. Er merkt nicht, dass er selber der Sprengmeister ist und dass die Idylle wahrscheinlich bestens weiter funktionieren würde, wenn er nicht da wäre und zündeln würde. Wenn er es nicht in die Luft sprengen würde. Das Wesen der Idylle liegt ja nicht in ihrer Perfektion an sich, sondern darin, dass alle mitmachen. Und dass alle die faulen Stellen übersehen, jedenfalls eine Zeit lang. Und so eine Idylle auf Zeit, die ein gemeinsamer Urlaub nun mal ist, verlangt ja genau das. Wir andern sind mittlerweile einigermaßen erprobt darin, wie man Ausgleich schafft, wir sind uns selbst und den Umgang mit Kindern und unsere zeitweise Überforderung mit den Kindern schon gewohnt. Es gibt da große Toleranzen. Johnny hat keine Toleranzen, gar keine. Johnny will nichts ausgleichen. Johnny will die Katastrophe. Er will den Crash sehen, er will seine Bestätigung, dass es nicht funktioniert. Tom sagt, Johnny ist einfach ein Arschloch, und wahrscheinlich hat er recht. Johnny zeigt so lange auf die Risse und Absplitterung der Idylle, bis es den anderen schließlich auch nicht mehr gelingt, sie zu übersehen. Johnny sorgt dafür, dass es bricht, er ist die Sollbruchstelle jeder Idylle, und das ist er mit großem, fast moralischem Eifer. Wir wissen, wenn wir ihn mitnehmen und dabeihaben, dann werden wir brechen und danach wird es nicht mehr ganz wie vorher sein.
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