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Gruber Geht

Gruber Geht

Titel: Gruber Geht
Autoren: Doris Knecht
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versprach, doch zu kommen. Meistens musste ich ihn mit der Trennungskeule k.o. prügeln, damit, dass Vater sie an ihrem fünfzigsten Geburtstag verlassen hat, falls er sich noch erinnert. Er erinnert sich. Wir alle erinnern uns. Keiner wird es je vergessen. Danach schwor er jeweils, es ernsthaft zu versuchen. Immerhin, jetzt war er da.
    Ben habe ich nicht überreden müssen. Er hatte seinen Sohn mit, Lukas, er ist sechs, nur ein paar Wochen älter als Eugen. Ben ist, na ja, okay, aber er hat ein Problem, weil er immerzu zeigen muss, wie toll Lukas ist und wie besonders. Alle anderen Kinder kriegen das Gleiche, Lukas kriegt etwas extra. Extra Pokemon-Karten, extra Playmobilritter, extra irgendwas, das die anderen nicht bekommen. Mir kommt das ja vor, als würde Ben seinen Sohn für irgendwie minderbemittelt halten. Als müsste er etwas ausgleichen gegenüber den anderen Kindern, unseren zum Beispiel, indem er ihm zwei Fahrräder kauft, vier Fußbälle, acht Bionicles, weil er sonst mit den anderen Kindern nicht mithalten kann. Aber vielleicht denkt Ben wirklich, sein Sohn meint, Ben liebt ihn nicht mehr, wenn er das Zeug nicht kriegt. Oder Ben denkt, Lukas liebt ihn dafür mehr. Oder er nervt ihn dann weniger, aber das Gegenteil ist der Fall. Sogar Johnny, der ist ja absolut kein Kinderversteher, kapiert das, da passiert das genaue Gegenteil. Der Lukas hat keinen Millimeter Frustrationstoleranz, der zuckt wegen jedem Fliegenfurz aus. Wirft mit Sachen um sich, haut Türen hinter sich zu, brüllt Kraftausdrücke, was Ben mit hochrotem Kopf so lange wie möglich ignoriert, bis es nicht mehr geht und er dann explodiert und anfängt zu brüllen, dass er das Kind hasst, das Scheißkind, und dass Lukas den ganzen restlichen Sommer bei seiner Mutter bleiben kann, er will ihn bestimmt nicht mehr sehen. Der Kleine weiß natürlich nicht, wie ihm geschieht. Er ist sechs und sieht sich Filme für Sechzehnjährige an, und in der Nacht fürchtet er sich und schläft, kein Wunder, bei Ben oder bei seiner Mutter im Bett. Und das war ja am Ende wohl der Grund, warum Ben nicht mehr bei der Mutter schläft. Sie haben sich vor ein paar Monaten getrennt, nachdem Ben immer öfter zu Frauen ins Bett stieg, die kein Kind zwischen sich und seinen Schwanz schoben. Er hat wohl seit einiger Zeit eine neue Freundin, aber zu einer Familienfeier bringt er die natürlich noch nicht mit.
    Jedenfalls jongliere ich gerade mit vier Töpfen am Herd, da kommt der Lukas und will einen Schokoriegel. Und als ich ihm sag, dass das Essen in zwei Minuten fertig ist und er den Schokoriegel zum Nachtisch essen kann, kommt Ben, holt einen Riegel aus dem Schrank, reißt ihn auf und gibt ihm den Kleinen. So wie: Auf diese Frau brauchst du gar nicht hören, tu einfach so, als wär sie gar nicht da. Komplett illoyal. Ich meine, als er mich wegen der Trennung von Katja wochenlang am Telefon anheulte, und dann auf seinem Sofa und auf unserem Sofa und unseren Wein aussoff, sagte er immer wieder: Du bist nicht nur meine Schwester, du bist auch meine beste Freundin. Aber in dem Moment sah ich, was ihm diese Freundschaft wert ist. Weniger als die Angst vor dem Geraunze eines Sechsjährigen. Weniger als ein Schokoriegel.
    Ich war wütend. Ich rastete ein bisschen aus. Johnny lief mittenrein, hatte keine Ahnung, was los war, grinste mir aber breit ins Gesicht und fragte, ob ich mir wohl schon einen Kleinen genehmigt hätte. Ausgerechnet er! Und was soll das überhaupt sein, ein
Kleiner
. Wo lebt der jetzt eigentlich, wo sie sich
Kleine
genehmigen? Ein Kleiner was? Was soll das heißen,
genehmigen
? Und wenn schon. Ich kümmere mich um die Kinder. Wer gewickelt werden muss, wird gewickelt. Alle sind eingecremt. Niemand hat Hunger. Mein Mann bekommt Sex. Es ist Geld im Haus; mein Geld. Ich kann trinken, wann ich will.
    Und Johnny im Übrigen auch. Mehr als das. Am Abend, als die Kinder schliefen, saßen wir auf der Terrasse, Windlichter, Wein, Meeresrauschen, Zikadenzirpen, es war genau so vorschriftsmäßig kitschig, wie es sich Mutter gewünscht hatte. Nur dass Johnny ein Glas Wein nach dem anderen hinunterkippte, noch eins und noch eins und dann noch eins. Zwischendurch ging er zweimal auf sein Zimmer, er zwinkerte mir zu, als er aufstand, aber ich hab’s ignoriert. Ich nehm das Zeug schon lang nicht mehr. Ich sah, wie Mutter immer besorgter zu ihm hinüberblickte und ein paar Mal auch zu mir. Er redete und redete, niemand sonst redete mehr, nur noch er, unglaublichen
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