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Gruber Geht

Gruber Geht

Titel: Gruber Geht
Autoren: Doris Knecht
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Grundstück, genau. Hat er nicht. Das Grundstück ist ihm egal. Vor allem ist ihm das Grundstück jetzt in diesem Moment egal. Gruber möchte wissen, warum sein Auge pocht. Warum es sich so geschwollen anfühlt. Gruber möchte unbedingt wissen, wie ein Auge aussieht, das derart pocht. Er braucht jetzt Ruhe, um sich an den Grund zu erinnern, warum sein Auge so aussieht und sein Kopf sich so anfühlt, und dann braucht er Ruhe, um diese Erinnerung zu verdrängen und sich darum zu kümmern, dass sein Auge besser aussieht. Und dann braucht er eine Zigarette, unbedingt.
    «Mutter, ich kann jetzt nicht. Ich bin auf dem Weg zu einem Meeting.»
    «Bist du nicht, Johannes. Ich höre doch, dass du noch im Bett liegst.»
    «Ich sitze im Taxi.»
    «Tust du nicht. Was ist mit deiner Lippe los? Du sprichst so undeutlich.»
    «Gar nichts, Mama, alles okay, es geht mir gut, alles okay.»
    Alles okay. Gruber muss an das ungeöffnete Kuvert denken.
    «Du klingst aber nicht so.»
    «Ich bin nur müde. Und, na gut, ein bisschen verkatert. Ich ruf dich später zurück. Ich muss jetzt duschen. Wie spät ist es überhaupt?»
    «Halb acht, Johannes. Die beste Zeit, um den Anwalt zu erreichen. Danach ist er wieder beim Gericht. Du hast seine Handynummer. Du hast doch noch seine Handynummer?»
    «Hab ich. Irgendwo. Mutter, ich rufe dich zurück.»
    «Und ruf bitte Katharina an.»
    «Warum soll ich Kathi anrufen?»
    «Achter März. Sie hat Geburtstag, wenn du dich erinnerst. Oder schreib ihr wenigstens eine SM S .»
    «Mach ich, versprochen, ich muss jetzt aufhören.»
    «Du klingst nicht gut. Fliegst du heute ...?»
    «Bitte, Mutter, ich muss, ich leg jetzt auf, ich melde mich später, ich schwöre es. Hab dich lieb.»
    Gruber drückt auf die rote Taste und lässt das Telefon aus der Hand aufs Bett rutschen. Er bleibt auf dem Rücken liegen und betastet vorsichtig sein Gesicht. Nicht gut. Fühlt sich nicht gut an. Tut weh. Tut sauweh. Sein rechtes Auge ist eindeutig geschwollen, seine Lippe ist blutig und schorfig und definitiv dicker als normal. Außerdem hat Gruber, das stellt er nun fest, sein Hemd noch an, und soweit er es überblicken kann, hat es nicht mehr die Originalfarbe. Das Hemd sollte fliederfarben sein, ein sehr zartes, dennoch männliches, zweifelsfrei unschwules Flieder. Ist es nicht mehr. Gruber tastet nach den Seractil neben sich, die er sich abends gewohnheitsmäßig zurechtlegt, und schiebt sich vorsichtig ein Stück zum Kopfende des Bettes hinauf. Au. A U , verdammt! Er greift nach der Wasserflasche und schraubt sie auf, ohne hinzusehen. Während er sich die Tablette zwischen die wunden Lippen schiebt und vorsichtig die Flasche ansetzt, wird Gruber klar, dass das nun der Punkt wäre, an dem er darüber nachdenken sollte, was gestern war. Dass er sich nun Stück für Stück die letzte Nacht vergegenwärtigen sollte, angefangen mit, gut, angefangen an dem Moment, an dem er sanft, aber entschieden aus der Kronenhalle entfernt wurde, geleitet von zwei kräftigen, wahrscheinlich italienischstämmigen Kellnern, hinter denen die Maître de Service herwatschelte, die Alte mit der Brille, die er in traurig tadelndem Tonfall vor sich hinschweizern hörte, während er weitergeschimpft hatte, während er es diesen verklemmten Schweizern relativ deutlich gesagt hatte. Während ihn die verklemmten Schweizer von ihren Tischen anstarrten, mit ihren Angeber-Breitlings und Glashüttes und Patek Philippes und ihren Goldketten und ihren geschissenen Scheißmaßschuhen.
    Während die Kerle, mit denen er heute Vormittag eigentlich noch ein Meeting hätte, noch ein Meeting gehabt hätte, mit ernsten Mienen tuschelten. Denen er. Gütiger. Scheiße. Nicht, dass es Falsche erwischt hätte, es ist nie falsch, Schweizer zu beleidigen, schon gar nicht solche Schweizer Pisser. Hirnamputierte Spießer. Trotzdem. Mist. Er will jetzt nicht daran denken, er will an etwas anderes denken, an etwas Angenehmes, aber das wird durch die rasenden Schmerzen nicht direkt begünstigt. Wie lange kann das verficktnochmal dauern, bis diese Pillen endlich wirken? Wie lange dauert das jetzt schon? Wie lange dauert das noch? Und hat er noch Zigaretten? Etwas Schönes denken. Kathi, Kathi hat heute Geburtstag, er wird sie anrufen und ihr ein Geschenk versprechen und ihr etwas Nettes sagen und nicht, wie er sich gestern, wo noch mal, im Mascotte, richtig, im Mascotte, völlig deprimiert und angesoffen und zugekokst an eine sowieso viel zu blonde Tusse herangemacht hat, an
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