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Gruber Geht

Gruber Geht

Titel: Gruber Geht
Autoren: Doris Knecht
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Situation weiß es zu würdigen, er spürt es schon, die Situation meint es jetzt gut mit ihm, irgendetwas wird heute gelingen. Gruber reißt sich den Rauch in die Lunge, bis er am Taxistand ist, und tritt die Zigarette dann aus. Zum Hotel Greulich. Bei der Bäckeranlage, ja, genau. Das Taxi ist so überheizt, wie es schon das Zugabteil war, er wird sich erkälten bei diesen ständigen brutalen Temperaturwechseln, das ist schon mal sicher. Gruber steckt sich wieder die Musik in die Ohren, schon gar nicht will er mit einem Schweizer Taxifahrer reden. Man versteht sowieso nichts, es ist eine unerträgliche Qual.
    Das Greulich hat er sich idiotischerweise von Carmen einreden lassen. Das ist ganz schlecht, ganz schlecht, weil er, wäre er nicht im Greulich, sondern im Seehotel oder im Theatro, Carmen eine Mail über die Zumutung von Zürcher Hotels wie dem Seehotel oder dem Theatro schicken könnte, die so schön tun und doch nur hübsch eingewickelten Mindeststandard verkaufen, und Carmen würde ihm antworten, warum er nicht endlich einmal im Greulich übernachtet, wie sie es ihm immer sagt. Geh ins Greulich! Das wird ihm nicht mehr passieren, dass er auf einen Rat von Carmen hört, es schneidet ihm seine Kontaktmöglichkeiten zu ihr ab. Das Greulich ist angenehm. Schön, aber nicht aufgeplustert, modern, aber nicht totdesignt. Das Zimmer ist, Gott sei’s gepriesen, moderat beheizt. Im Hof gibt es einen kleinen Birkenwald mit Tischchen und Stühlchen, die Idylle ist derart überinszeniert, dass es schon wieder lässig ist. Man frühstückt überwiegend in der Gesellschaft von Künstlern, Schriftstellern oder Architekten, was Gruber wurscht sein sollte. Völlig einerlei sollte Gruber das sein. Gruber ist bitte keiner, der irgendein Interesse daran pflegt, wer um ihn herum sein Leben wie und zu welchem Zweck in den Sand setzt, und es gibt wahrscheinlich nichts Schlimmeres als angestrengten Smalltalk an Hotelfrühstücksbuffets. Dass er sich von Carmen dabei ertappen hat lassen, dass er sich in der Gesellschaft von Künstlervolk wohler fühlt als in Gesellschaft von mittelbilligen Business-Anzügen, wurmt ihn zusätzlich. Er ist ein Mover und Shaker, verdammt noch mal, das heißt, ihn können ALL E mal. Komplett alle. Sie wird das büßen. Büßen, büßen, büßen. Gruber lässt sich seinen Schlüssel geben, Zimmer Nummer  18 , wie immer, unterschreibt den Zettel und winkt ab, als ihm Gepäcktransport angeboten wird. Er rollt seinen Trolley am Restaurant vorbei nach draußen in den Hof, über einen dunklen Bretterboden um den Birkenwald herum und zu seinem Zimmer, schließt auf, setzt sich aufs Bett, holt sein iPhone raus. «ist dir eigentlich klar, dass ich gegen birken allergisch bin? dieses scheißgreulich.» Carmen antwortet, während Gruber sein Hemd wechselt, mit sechs Worten. «honey. es ist märz. keine pollen.» Aber Gruber setzt noch eins drauf, «anyway. fack zürich», und darauf antwortet Carmen nicht mehr.

Der ist irgendwie crazy. Der hat sie irgendwie nicht alle. Man sieht ihm das nicht gleich an, ich meine, er schaut ja nicht schlecht aus. John schaut ganz gut aus, so groß halt, bisschen schlaksig, gute Haare. Weiß, wie man redet, wie man sich anzieht. Gute Schuhe, saubere Fingernägel, das ist heutzutage ja nicht selbstverständlich! Und er hat auch Manieren, jedenfalls solange er sie unbedingt braucht. Danach merkst du ziemlich bald, dass er einen an der Waffel hat. Ich meine, lustig an der Waffel. Ein Wiener halt, irre charmant, aber im Prinzip unzurechnungsfähig. Ich hatte schon einmal einen Wiener, die sind offenbar alle so. So geschmeidig, so elastisch irgendwie, diese unglaubliche Fähigkeit, sich um sein Gegenüber herumzuwickeln. Jetzt nicht wörtlich. Eben nicht so plump wie einer aus dem Aargau oder so. Du hast das Gefühl, die interessieren sich wirklich für dich, und sind auch noch witzig. Und großzügig ist John auch, auf eine vollkommen selbstverständliche Weise, ich meine, geizige Männer, das geht bei mir ja gar nicht. Ich hab John in der Kantine kennengelernt, das ist ja schon abartig genug, ich meine, einen Schweizer würdest du nie einfach so in der Kantine kennenlernen. Zeig mir einen Schweizer, den man in der Kantine kennenlernen kann. Einen Schweizer kannst du umrennen, einmal auf ihn drauf steigen, zweimal deinen Absatz auf seinem Gesicht umdrehen, er entschuldigt sich und kriecht zur Kassa, ohne dich auch nur zur Kenntnis genommen zu haben. Aber der ist eben kein
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