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Mathias Sandorf

Mathias Sandorf

Titel: Mathias Sandorf
Autoren: Jules Verne
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hätte er es mit einer Rabenmutter zu thun, die ihn nicht länger ernähren wollte.
    In diesem Augenblicke wurde seine Aufmerksamkeit von einem Vogel abgelenkt, der außerhalb des umfriedeten Ortes ängstlich umherflatterte. Es war eine Taube, deren ermüdete Flügel kaum noch zuckten und die sich immer mehr gegen den Boden senkte.
    Zirone fragte sich gewiß nicht, zu welcher der hundertsiebzig Gattungen Tauben, welche das ornithologische Namensverzeichniß jetzt kennt, dieser Vogel gehörte, er sah nur eines, daß es ein eßbarer Gegenstand war. Er verschlang ihn bereits mit den Blicken, nachdem er seinem Gefährten ein Zeichen mit der Hand gegeben.
    Das Thier war ersichtlich am Ende seiner Kräfte angelangt. Es blieb schon an den Vorsprüngen der Kathedrale hängen, deren Façade von einem hohen
     

    Die Taube fiel zu Boden.(S. 18.)
     
    viereckigen Thurme älteren Ursprunges flankirt wird. Es konnte nicht weiter, und zum Fallen geneigt, ließ es sich zuerst auf das Dach einer kleinen Nische nieder, welche das Bildniß des heiligen Justus schützt; seine ermüdeten Füße aber gaben ihm dort keinen Halt und so ließ es sich bis zum Capitäl einer antiken Säule niedergleiten, welche in die von dem Thurme und der Façade des Bauwerkes gebildete Ecke eingefügt war.
     

    Triest. – Der Molo San Carlo.
     
    Während Sarcany noch immer unbeweglich und schweigsam kaum sich damit beschäftigte, der Taube Aufmerksamkeit zu schenken, ließ sie Zirone nicht aus den Augen. Sie kam aus dem Norden. Ein weiter Flug hatte diesen Zustand der Erschöpfung verursacht. Ersichtlich führte sie ihr Instinct einem noch entfernteren Ziele zu. Sie nahm auch sogleich ihren Flug wieder auf; die Curve aber die sie ähnlich einer Flintenkugel beschrieb, nöthigte sie zu einer abermaligen Rast genau auf den niedrig hängenden Zweigen eines der Bäume des alten Kirchhofes.
    Zirone war entschlossen, sich des Thieres zu bemächtigen und fast kriechend näherte er sich leise dem Baume. Bald hatte er die Basis eines knorrigen Baumstumpfes erreicht, von der aus er ohne Mühe bis zur Vergabelung gelangen konnte. Hier kauerte er unbeweglich stumm in der Haltung eines Hundes nieder, der einem über seinem Kopfe verborgenen Stück Wildpret auflauert.
    Die Taube, welche ihn nicht bemerkt hatte, wollte von Neuem auffliegen; aber die Kräfte ließen sie wiederum im Stiche und wenige Schritte nur vom Baume entfernt fiel sie zu Boden.
    Mit einem Sprunge vorwärts stürzen, den Arm ausstrecken und den Vogel in der Hand haben, war für den Sicilianer das Werk eines Augenblickes. Es war nur natürlich, daß er sich sofort anschickte, dem armen Thiere das Lebenslicht auszublasen, plötzlich aber hielt er inne; er stieß einen Ruf der Ueberraschung aus und kam dann in aller Eile zu Sarcany gelaufen.
    »Eine Brieftaube! rief er.
    – Was weiter? Eine, die ihre letzte Reise gemacht haben wird, meinte Sarcany.
    – Zweifellos, gab Zirone zur Antwort. Um so schlimmer für die, denen das Billet, welches unter dem Flügel steckt, zukommen sollte.
    – Ein Billet? fuhr Sarcany empor. Warte, Zirone, warte! Das verdient einen Aufschub.«
    Und er hielt die Hand desselben fest, die sich bereits um den Hals des Thieres schloß. Dann nahm er das Beutelchen, das bereits von Zirone losgelöst worden war, öffnete es und zog ein chiffrirtes Billet hervor.
    Es enthielt nur achtzehn Worte, die, wie folgt, auf drei senkrechte Zeilen vertheilt worden waren:
    ihnalz
zaemen
ruiopn
    arnuro
trvree
mtqssl
    odxhnp
estlev
eeuart
    aeeeil
ennios
noupvg
    spesdr
erssur
ouitse
    eedgne
toeedt
artuee
    Von einem Abgangs-und einem Bestimmungsort verlautete auf dem Zettel nichts. Würde es möglich sein, den Sinn der achtzehn, aus einer gleichen Anzahl von Buchstaben bestehenden Worte ohne Kenntniß des dazugehörigen Schlüssels zu enträthseln? Wenig Wahrscheinlichkeit war dafür vorhanden, wenigstens gehörte ein geschickter Dechiffreur dazu; es fehlte also wenig, daß das Billet sich als nicht entzifferbar erwies.
    Sarcany stand vor dieser Geheimschrift, die ihn in nichts belehrte, zuerst sehr enttäuscht, dann sehr betroffen. Enthielt das Briefchen irgend eine wichtige Nachricht, vielleicht sehr bloßstellender Natur? Man konnte, ja man mußte es lediglich aus den Vorsichtsmaßregeln annehmen, die für den Fall getroffen waren, daß es in andere Hände als in diejenigen des Adressaten gelangen könnte und dann nicht gelesen werden dürfte. Ferner bewies die Benützung des außerordentlichen
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