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Angriff auf die Freiheit

Angriff auf die Freiheit

Titel: Angriff auf die Freiheit
Autoren: Juli Ilija;Zeh Trojanow
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Das Ende der Freiheit
    Früh raus. Der Wecker klingelt. Es ist noch dunkel. Nicht gleich Licht machen, eine Minute auf dem Bettrand sitzen bleiben. Die Morgenluft einatmen. Das Fenster ist gekippt, die Tür zum Flur offen. In der Küche wartet die Espressomaschine. Wo sind die Hausschuhe? Sich strecken, aufstehen, das Licht anknipsen.
    Sie ziehen den Vorhang am Küchenfenster zu, damit der Nachbar von gegenüber nicht hereinschauen kann, für alle Fälle, denn eigentlich schläft der an Wochentagen so lange wie Sie am Wochenende. Sie kochen sich einen doppelten Espresso, in ihrer großen Lieblingstasse, damit Platz bleibt für die Milch. Sie führen die Tasse zum Mund, sie pusten ein wenig, dann nehmen Sie einen Schluck. Jetzt kann der Tag beginnen. Sie setzen die Tasse auf dem Tisch ab. Am Rand haben Sie zwei wunderschöne Fingerabdrücke hinterlassen. So scharf konturiert und vollständig wie die in Ihrem Reisepaß. Oder die in den Datenbanken der U.S.Customs and Border Protection , seit Ihrem letzten Sommerurlaub in Florida. Beruflich sind Sie viel unterwegs? Dann kennt man das Muster auf der Kaffeetasse, die Sie gerade ins Arbeitszimmer tragen, auch in Schweden, Georgien und im Jemen.
    Wie jeden Morgen rufen Sie Ihre privaten E-Mails ab. Die sind schon überprüft worden – nicht nur von Ihrem Virenscanner. Sie haben noch ein paar Minuten Zeit, bevor Sie zur Arbeit müssen, also rufen Sie die eine oder andere Webseite auf – die Kripo weiß, welche, wenn sie möchte, und kann das auch in sechs Monaten noch überprüfen. Sie nehmen schnell noch eine Überweisung vor, die Ihnen gerade eingefallen ist – die zuständigen Behörden wissen, an wen.
    Zum Glück heißen Sie Müller, das schützt ein wenig. Bei Ihrem Kollegen Tarik al-Sultan, der neulich zum Bergsteigen in Kaschmir war, verschickt der Computer gerade den gesamten Inhalt der Festplatte an den Verfassungsschutz. Greifen Sie etwa gerade nach dem Telephon, um mit Tarik etwas Vertrauliches zu besprechen, das nicht ins Büro gehört? Lassen Sie es lieber sein. Besuchen Sie ihn zu Hause, wenn Sie ungestört reden wollen. Es sei denn, Tarik wurde als Gefährder eingestuft, weil er regelmäßig Geld an seinen arbeitslosen Cousin in Pakistan schickt. Dann ist seine Wohnung ohnehin verwanzt.
    Sie eilen zur Haustür hinaus. Die Überwachungskamera Ihres Wohnkomplexes beobachtet jeden Ihrer Schritte. Auch beim Betreten der U-Bahn-Station werden Sie gefilmt, ebenso auf dem Bahnsteig und in der Einkaufspassage, wo Sie eine Zeitung kaufen. Haben Sie schon mal versucht, vor einer Überwachungskamera unschuldig zu wirken? Das ist noch schwieriger, als auf einem gestellten Photo natürlich zu lächeln. Warum wandert Ihr Blick ständig nach oben? Zweimal haben Sie direkt in die Kamera geschaut. Und jetzt greifen Sie sich schon wieder ins Haar. Wenn das noch einmal passiert, wird die biometrische Verhaltensanalyse den Alarm auslösen. Warum sind Sie so nervös? Laut Ihrer Patientenkarte bekommen Sie seit neuestem Beruhigungsmittel verschrieben. Und die Paybackkarte verzeichnet einen erhöhten Alkoholkonsum. Sie haben am Bankautomaten wieder 1000 Euro abgehoben. Wozu brauchen Sie so viel Bargeld? Außerdem ist Ihr Stromverbrauch im letzten Monat um 12,4 Prozent gestiegen. Verstecken Sie jemanden? In der Stadtbibliothek leihen Sie sich in letzter Zeit merkwürdige Bücher aus, über zivilen Ungehorsam und die Pariser Kommune. Reichen Ihnen die historischen Schmöker nicht? Und diese regelmäßigen Zahlungstransfers nach Südfrankreich? Wofür? Warum sind Sie letzte Nacht eigentlich so lange um den Block gelaufen? Sie hatten Ihr Handy nicht ausgeschaltet – da weiß man genau, wo Sie sind.
    Nach der Arbeit steigen Sie ins Auto, um etwas Persönliches zu erledigen. Verzichten Sie auf die Verwendung Ihres Navigationssystems. Andernfalls läßt sich leicht herausfinden, wohin Sie fahren. Machen Sie einen Umweg, meiden Sie die Autobahn mit den ganzen Mautstationen. Sie fragen sich bestimmt schon, warum Ihnen so hartnäckig aufgelauert wird? Warum gerade Ihnen? Es gibt doch keinen Grund, aus dem sich irgend jemand für Sie interessieren könnte.
    Sind Sie sicher?
    Sind Sie absolut sicher?
    Haben Sie nicht neulich gegen den G-8-Gipfel demonstriert? Dann verfügt die Polizei sogar über Ihre Geruchsprobe. Haben Sie nicht bis vor kurzem in jenem Studentenwohnheim gelebt, in dem auch ein gewisser Abu Mehsud untergekommen war? Das waren gar nicht Sie, das muß ein anderer Müller
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