Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Marillenknoedel und das Geheimnis des Gluecks

Marillenknoedel und das Geheimnis des Gluecks

Titel: Marillenknoedel und das Geheimnis des Gluecks
Autoren: Emma Sternberg
Vom Netzwerk:
ja, ein Fall für die Klapse. Ihr ist es schon auf Sylt meistens irgendwie zu ländlich, und das Rustikalste, das sie anzuziehen bereit ist, ist ein Blazer aus Tweed.
    Ach, Sophie. Ich vermisse Dich jetzt schon, weißt Du? Es ist ein ganz schön komisches Gefühl, einen Brief zu schreiben, von dem man weiß, dass er erst gelesen wird, wenn man schon tot ist. Wie wäre es, wenn ich Dich bitte, Dir vorzustellen, dass ich Dich in den Arm nehme? Gut, bitte stell es Dir vor. Und jetzt stell Dir vor, ich drücke Dich und streichle Dir ganz sanft über Dein eigenwilliges, kluges Köpfchen.
    Ich schließe die Augen und kann fast ihre warme Berührung spüren. Plötzlich habe ich auch wieder ihren Geruch in der Nase. Sie roch auch mit über achtzig noch nach Wasser und Babycreme, ganz rein, wie ein junges Mädchen. Ich habe nie erlebt, dass irgendein Parfum sie umwehte, oder irgendeins dieser blöden Wässerchen, mit denen andere Großmütter sich sonst so maskieren. Nur wenn sie ihre alte Wollstrickjacke trug, konnte man eine gewisse, na ja, muffige Note nicht leugnen. Sie roch dann wie ein nasser Bernhardiner.
    Also gut, Sophie. Ich will Dich ja nicht mit alten Geschichten langweilen, aber eine möchte ich Dir doch noch erzählen – die von meiner großen Europareise, und wie ich nach Alrein kam. Ich glaube, ein bisschen habe ich darüber bestimmt schon einmal zum Besten gegeben, erinnerst Du Dich? Ich war damals mit meiner Freundin Lisbeth unterwegs, dem Nachbarsmädchen, die fast so verrückt war wie ich. Wir hatten beide sehr strenge Eltern, meine waren vielleicht sogar noch ein bisschen strenger als ihre, und es gab einen Riesenärger, als wir ihnen von unserem Plan erzählten. Erst nachdem wir vier Tage lang in Hungerstreik getreten waren, haben sie uns fahren lassen, in einem VW Käfer, den ich einem Freund abgeschwatzt hatte, der sich gerade für den Bundesgrenzschutz verpflichtet hatte. Der Käfer war Baujahr 1949, einer von den ganz frühen, die noch so aussahen, als seien sie selbst darüber erschrocken, dass sie so komische runde Dinger waren. Wir hatten das Jahr vorher in einem Handelskontor als Schreibdamen gearbeitet und so viel Geld verdient, dass wir sicher waren, ein Jahr lang damit durchzukommen. Nach dem Jahr würden wir nach Hamburg zurückkehren und etwas tun, das »angemessen« war, das hatten wir zumindest unseren Eltern versprochen, aber was juckten uns Versprechen, die erst in einem Jahr einzulösen waren. Das einzige, was uns interessierte, war der nächste Tag. Nach uns die Sintflut! So fuhren wir also los, ein Zelt für Notfälle auf der Rückbank und riesige Sonnenbrillen im Haar, wir rauchten Chesterfield und hörten die Schlagerparade im Radio. Natürlich wollten wir als erstes in das Land, in dem sie Englisch sprachen, also fuhren wir schnurstracks nach Calais, nahmen die Fähre nach Dover und fuhren von dort aus kreuz und quer auf der Insel herum, in die Cotswolds und nach Cornwall und Edinburgh. Und nach London, hach! Was fühlten wir uns erwachsen, als wir im legendären Savoy Tee tranken! Wir tranken Whiskey in schummerigen Pubs, knutschten mit blassen Walisern, die zum Studium dort waren, und ernährten uns fast ausschließlich von Fish and Chips, nicht so sehr, weil das so gut schmeckte, sondern weil es so schön billig war.
    Nach ein paar Wochen fuhren wir zurück nach Frankreich, zuerst nach Paris und von dort aus quer durch die Dörfer an der Atlantikküste, wo wir – anfangs doch eher angeekelt, aber dann zunehmend begeistert – unsere ersten Austern verschlangen. Und ein Salz hatten die dort, direkt aus dem Meer, das uns besser schmeckte als jeder Käse, den wir bis dahin in Hamburg gegessen hatten. Und Wurst, Sophie! In jedem noch so kleinen Kaff hatten sie eine Charcuterie, in der Würste hingen, die vor Geschmack nur so strotzten! Dazu der Wein … niemals werde ich diesen weißen vergessen, den wir in diesem winzigen Ort im Sauternes getrunken haben – es war, als tränke man einen konzentrierten Saft aus Honig und Aprikosen und Blüten! Heute bekommt man das alles ja sogar im Kaufhof, aber damals, kurz nach dem Krieg? Es war, als wären wir im Schlaraffenland. Und wenn uns hie und da ein hübscher Mann dazwischen kam … nun ja – »nein« sagten wir eigentlich nie.
    Und was ist an alldem jetzt so besonders, wirst Du Dich jetzt vielleicht wundern, aber das ist die falsche Frage, Sophie. Es waren die Fünfzigerjahre, das war eine Zeit, in der Frauen in erster Linie dazu da
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher