Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Titel: Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben
Autoren: Beate Sommer
Vom Netzwerk:
wusste wahrscheinlich eh nichts damit anzufangen. »Komm, Balou«, sagte er und gab der Leine einen Ruck. Balou hechelte das Auto an. Im Sitzen.
    »Meinst du, er steht auf, wenn ich noch näher ranfahre?«, fragte seine Lehrerin.
    »Sie können’s versuchen?« Er hob hilflos die Schultern.
    »Sag stopp, ja? Ich will dem Ungeheuer ja nicht wehtun.«
    Diesmal war »Ungeheuer« scheinbar das Stichwort, denn Balou preschte wieder los. Richtung Wald. Er hinterher. Nicht schnell genug. Ab und zu scharrten Balous Vorderbeine in der Luft, das sah ganz schön bescheuert aus, und er musste lachen. Keine gute Idee. Er bekam Schluckauf. Und nicht genug Luft. Brüllen war jedenfalls nicht drin. Hoffentlich schaffte er es noch bis zum Wald.
    Balou war nicht mehr zu bremsen, und wenn er jetzt schlappmachte, würde der Hund ihn einfach hinter sich herschleifen. Er hatte es gewusst, hatte er, aber David war’s mal wieder egal gewesen, was passierte. Da half auch alles Betteln nichts. Wenn der am Computer hing, zählte der kleine Bruder nichts mehr. Oder dass Mama ihm extra gesagt hatte, dass er mit dem Hund gehen sollte. Wegen seiner Lehrerin. Mama hatte wenigstens Mitleid mit ihm. Papa nicht. Der sagte immer bloß, er solle sich nicht so anstellen. Ein Hund hat dem Menschen zu gehorchen. Vielleicht gab es solche Hunde. Balou gehörte nicht dazu. Oder Balou fand, dass er kein Mensch war? Allen anderen gehorchte er nämlich. Nur ihm nicht.
    Tagsüber war ihm das ja egal. Dann durfte er mit seinen Inlinern fahren, das machte Spaß, Balou, und ihm auch. Aber abends war das zu gefährlich, weil man sie im Dunkeln nicht rechtzeitig sehen würde. Sagte Mama. Viel Verkehr war hier abends nicht gerade. Aber sie hatte gesagt, dass ein einziges Auto auch schon reichte, und basta. Echt komisch war, dass Balou nur zu seiner Lehrerin wollte, wenn er zu Fuß mit ihm unterwegs war. Mit den Inlinern ging’s gleich zum Wald. Wenigstens hatte er ihn heute überhaupt dorthin bekommen. Das war ja auch schon ein Fortschritt.
    Fast da. Er wurde schon mal langsamer. Ja! Balou bremste mit allen vier Beinen gleichzeitig und fiel auf den Hintern. Hechelte mit heraushängender Zunge, bis er neben ihm zum Stehen kam und ihn von der Leine ließ. Zack, weg war er, verschwunden im dunklen Wald. Keine zehn Pferde würden ihn da reinkriegen.
    Eigentlich sollte er nie ohne Leine gehen, aber das konnte keiner mehr von ihm verlangen, echt nicht. Auf freier Strecke kam er einigermaßen hinterher, aber im Wald nicht. Das eine Mal, als er es versucht hatte, war es ihm so vorgekommen, als ob die Bäume direkt vor ihm hochschießen würden. So ungefähr wie eine Leiche, die doch noch nicht tot ist und sich plötzlich im Sarg aufsetzt. Boah ey, das war gruselig gewesen. Er hatte gedacht, sein Herz bleibt stehen. Er hatte versucht auszuweichen, aber trotzdem hatten sie ihn total zerkratzt, mit ihren langen, haarigen Armen. Dann war er auch noch hingefallen und hatte vor Schreck die Leine losgelassen. Weg war Balou. War erst nach einer Ewigkeit zurückgekommen. Er hatte so verdammt Schiss gehabt. Nie! Wieder!
    Seitdem hatten sie eine Abmachung, Balou und er. Er ließ ihn am Waldrand von der Leine, und dafür kam Balou von selbst zurück. Manchmal dauerte es nur eine Viertelstunde, manchmal eine halbe, aber nie länger. Wenn es hell war, schnappte er sich vorher ein Buch, und dann setzte er sich einfach irgendwohin und las. Dann ging die Zeit schneller rum, das war ganz praktisch. Aber heute war es dafür schon zu dunkel gewesen.
    Verflixt dunkel. Und verflixt einsam. Er schaute sich unauffällig um. Kein Mensch war unterwegs. Er konnte das nicht ausstehen. Sogar seine Lehrerin könnte jetzt seinetwegen vorbeikommen. Eigentlich mochte er sie nämlich, durfte bloß keiner wissen. Er stopfte die Hände in die Taschen seiner Jeans und wackelte ein bisschen rum. Stellte sich vor, er würde Musik hören und wär ganz cool. War er aber nicht. Er glaubte auch nicht, dass das noch mal irgendwann was werden würde mit dem Coolsein. Das hatte man von Geburt an oder nie. Seine Mama meinte ja, das würde schon noch kommen. Pubertät und so. Aber die wollte er überspringen. Das hatte er sich fest vorgenommen. Dann war’s natürlich aus mit cool. Also doch lieber Pubertät?, überlegte er. Ach nee. Nachher hing er dann genauso nur noch am Computer rum wie sein Bruder. Das war total öde.
    Er las lieber. Deswegen war er auch so sauer gewesen, dass David ihn gezwungen hatte, mit Balou
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher