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Im Zeichen der gruenen Sonne

Im Zeichen der gruenen Sonne

Titel: Im Zeichen der gruenen Sonne
Autoren: Alexander Rothe
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Vorgeschichte
    Im Inneren des Sterns herrschen neunzehn Millionen Grad Celsius, die übliche Temperatur. Ein Sonnenstrahl macht sich auf seine Reise über 149480000 Kilometer Richtung Erde. Er hat keine Eile, und doch schießt er in unfassbarer Geschwindigkeit voran. Schon nach wenigen Sekunden passiert er den Merkur. Er überlegt kurz, ob er nicht schon hier landen soll. Immerhin ist er noch dreihundertfünfzig Grad heiß und je weiter er sich von zu Hause entfernt, desto mehr kühlt er ab. Aber wenn er landet, bedeutet dies schon jetzt das Ende seiner Reise. Nö, dann lieber noch ein bisschen durch das Weltall fegen! Also lässt er Merkur links liegen und rast an ihm vorbei. Er hat mittlerweile ein höllisches Tempo drauf. Mit breitem, zufriedenem Grinsen überholt er die sonst so angeberischen, auf ihr mickriges Tempo stolzen Asteroiden. Die reinste Verkehrsbehinderung, diese Krücken! Auf die Seite, Platz da, ihr Penner, hier komme ich!
    Venus erscheint, aber sie liegt ihm zu weit rechts, und Kurven fliegen macht ihm keinen Spaß. Außerdem bedeckt Venus ihre faltige Oberfläche lückenlos mit Wolken. Das alte Mädchen ist immer noch ein bisschen eitel. Nein, es gibt kein Zurück, er wird auf die Erde auftreffen. Ein kleiner weißer Punkt, einer von unzähligen im Weltraum, leuchtet dem Sonnenstrahl entgegen. Dort ist es, sein Ziel: planmäßige Ankunft in drei Minuten. Das weiße Pünktchen wächst, wird größer, farbiger, runder. In tiefer Stille, so als hielte der gesamte Kosmos die Luft an, um diesen majestätischen Anblick nicht zu stören, liegt sie da – die Erde. Eine strahlend blaue Kugel, die frei im unendlichen Raum schwebt. Bei diesem Anblick ist der Sonnenstrahl froh, dass er nicht auf dem Merkur gelandet ist.
    Jetzt fehlt nur noch der geeignete Platz für die Landung. Er muss sich beeilen, schon ist er in die Erdatmosphäre eingetreten, und es bleiben ihm nur noch Bruchteile von Sekunden. Er schießt jetzt durch Sauerstoff, und der ungeheure Fahrtwind reißt an ihm. Unter sich kann er schon das Land erkennen. Rasend kommt die Erdoberfläche näher. Er kann gerade noch einem Flugzeug ausweichen. Immer deutlicher sieht er Dächer und Straßen unter sich liegen. Er hat gar nicht gewusst, dass dieser Planet bewohnt ist. Wenn das so ist, denkt er, dann werden sich die Bewohner wahrscheinlich über ihn ärgern, weil er so wenig Hitze von der Sonne mitbringen konnte. Von stattlichen neunzehn Millionen Grad sind lächerliche sechsunddreißig übrig geblieben – fast nichts. Jetzt ist es so weit, der Lärm der Stadt unter ihm ist schon zu hören, der Smog schon zu riechen. Haarscharf fegt er am Dach eines Hochhauses vorbei. Beinahe wäre er gegen die Regenrinne gestoßen. Schräg unter ihm liegt ein viereckiger Hinterhof, und dort … sitzt da nicht ein kleiner Erdbewohner? Von hier oben kann er seine knallrote Baseballkappe erkennen. Kursänderung! Er rast die Fassade des Hochhauses hinunter, schneller, schneller, die Fenster fliegen an ihm vorbei. Kurz kann er einen Blick durch die Scheiben werfen. Menschen sitzen an Schreibtischen, arbeiten, telefonieren, streiten sich, freuen sich. In jedem Stock, in jedem Fenster eine neue Geschichte. Die roten Dächer der Häuser um den Hof fliegen auf ihn zu. Er zielt gut, denn er weiß, er hat nur einen Versuch. Aber er trifft, rast an den Dächern vorbei – tiefer, tiefer – und hinein – Countdown läuft: dritter Stock – zweiter Stock – erster Stock – uuuund Landung auf der roten Baseballkappe des Jungen. Endlich, nach einer Reise von acht Minuten und achtzehn Sekunden planmäßige Ankunft auf der Erde.

Tom
    Tom nahm die knallrote Baseballkappe vom Kopf, wischte sich die Schweißperlen von der Stirn und setzte sie wieder auf. »Scheiße, die Hitze macht mich völlig alle!« Mit einem Ruck richtete er sich kerzengerade auf, denn das Metall der Mülltonne, gegen die er sich gemütlich gelehnt hatte, war plötzlich glühend heiß geworden und brannte auf seinem Rücken. Eigentlich wollte er nur hier sitzen, sein nagelneues Notebook auf den Knien, und Außerirdische auf seinem Bildschirm abballern, aber die schon seit Tagen anhaltenden Rekordtemperaturen machten ihn völlig fertig. Er war schlapp. Total schlapp. Jede Bewegung trieb ihm neue Schweißtropfen ins Gesicht. Ein Stein verspürte vermutlich mehr Bewegungsdrang. In dem engen, viereckigen Hinterhof stand die Luft drückend still, und die Sonne kochte sie zwischen den hohen,
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