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Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Titel: Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben
Autoren: Beate Sommer
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ihre Schultern strafften sich, und ihre Augen strahlten. Sie wirkte eifrig wie ein Kind, das zum ersten Mal Fahrrad fährt, und erhitzt, I fell into a burning ring of fire , schneller, die Band zog das Tempo an, und trotzdem kam sie mit, geriet nicht ein Mal ins Straucheln, als habe der Alkohol ihr Flügel verliehen, I went down, down, down, and the flames went higher , die Atmosphäre schien zu knistern. Breitbachs plumpe Hand ruhte auf ihrem Rücken, natürlich Breitbach, bei ihm konnte sie sich sicher fühlen, würde sie denken, die Dicken stellten niemals eine Gefahr dar, waren ja so genügsam und gemütvoll, und wenn nicht – einerlei, sie genoss sichtlich den Augenblick, und es schien ihm fast, als geschehe dies zum ersten Mal in ihrem Leben.
    Ein Tusch, und sie lösten sich voneinander. Verhaltener Applaus hob an, bevor schon das nächste Stück einsetzte, hart und schnell diesmal, Sympathy for the Devil , zu wahr, um schön zu sein. Die Tanzfläche leerte sich fast vollständig, das Lied nichts, worauf sich schwofen ließe, und Breitbach und sie tanzten nun jeder für sich. Freilich gab Breitbach eher vor zu tanzen, wie er mit den Füßen auf den Boden tappte, halbherzig im Wechsel die Hände hob, ein schwitzender Bär, der als Zirkusattraktion nicht taugte. Sie hingegen schien in ihrem Element: nicht Wasser, Feuer! Sie warf die Arme in die Luft und stampfte mit den Füßen, wirbelte um ihre Achse herum und herum, ein eitler Derwisch, ihr Haar eine wehende Fahne von flüssigem Gold, tanze, Gerda, tanze, tanz die ganze Nacht , er konnte den Blick nicht lösen, sich nicht sattsehen an ihrer Darbietung und war ganz und gar hingerissen.
    Er war nicht der Einzige. Die Männer begannen zu starren, Gier in den Augen, und die Frauen wandten sich kopfschüttelnd ab. Die Aufmerksamkeit, die ihr zuteilwurde, musste jeden Plan vereiteln, und nun kam Kelling ins Spiel, zu retten, was noch zu retten war. Eine Handbewegung in Richtung Band genügte, und sie wechselte abrupt zu etwas Langsamem, I will always love you , ein Hohn, denn Liebe war es nicht, was sie im Sinn hatten. Dennoch glitt sie wie selbstverständlich in Kellings Arme, und dieser Tanz war so unschicklich wie der vorige. Seine rechte Hand glitt tiefer und tiefer ihren Rücken hinab, er vergrub seinen Mund in ihrer Halsbeuge, und sie kam ihm arglos entgegen, schmiegte sich an ihn, der in ihren Augen das große Los sein musste, verglichen mit Breitbach jedenfalls.
    Allmählich füllte sich die Tanzfläche wieder, und beinahe hätte er verpasst, wie Kelling ihr auf den Fuß trat. Sie stürzte. Die anderen Paare wichen zur Seite, und jetzt hatte er wieder freie Sicht. Sie lag gekrümmt auf dem Boden und hielt sich den Knöchel. Jetzt könnte er noch einschreiten, überlegte er, Kelling einfach zur Seite schieben und sie nach Hause bringen. Doch danken würde sie ihm das nur, wenn er ihr erzählte, was die beiden mit ihr vorgehabt hatten. Würde sie? Würde sie ihm überhaupt glauben? Er ließ den Moment verstreichen. Sie hatte nicht nur eine Chance gehabt und keine genutzt.
    Kelling winkte Breitbach herbei, und gemeinsam halfen sie ihr auf und stützten sie auf dem Weg nach draußen, in die Klinik, wie Kelling behauptete.
    Das Schauspiel war vorbei. Er forderte die Sekretärin vom Chef zum Tanz auf, um sein Desinteresse an dem Intermezzo zu bekunden, und blendete deren fades, anhimmelndes Geplapper einfach aus.
    War sie zu betrunken, um zu begreifen, wie ihr geschah? Würde sie sich wehren, überlegte er, oder angstvoll Folge leisten? Vor morgen früh würden sie sie nicht gehen lassen, wusste er, und fast tat sie ihm leid. Doch letztlich war sie selbst schuld. Wenn sie ihn ein einziges Mal richtig angesehen hätte, statt durch ihn hindurch. Wenn sie nur auf einen seiner Briefe reagiert hätte. Er hätte sie niemals den Wölfen zum Fraß vorgeworfen.

1
    Der Brief hatte ihr Leben zerstört. Vollständig. Vom einen Moment auf den nächsten war nichts mehr so gewesen wie zuvor. Jetzt würde sie den Brief zerstören. Ihn verbrennen. Die Zeit war gekommen.
    Sie setzte sich an den alten Sekretär ihrer Großmutter, zog die unterste Schublade heraus und tastete nach dem Umschlag. Nichts. Sie kniete sich hin und spähte hinein. Zu dunkel. Verwirrt zerrte sie auch die oberen beiden Schubladen heraus und vergewisserte sich, dass der Brief sich nicht irgendwie an den Unterseiten verfangen hatte. Raues Holz, kein Papier. Auch nicht in dem jetzt leeren Fach. Seltsam. Sie
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