Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Titel: Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben
Autoren: Beate Sommer
Vom Netzwerk:
war sicher, dass der Umschlag hier sein musste. Aus unerfindlichen Gründen waren Schubladen immer kürzer als die Schränke, in denen sie steckten, und dieser Hohlraum war ihr wie das perfekte Versteck erschienen. Hektisch ging sie den Inhalt der Schubladen durch. Vergeblich. Der Brief war fort. Oder irrte sie sich und sie hatte ihn doch anderswo versteckt?
    Vielleicht war es nicht so wichtig, dass sie ihn gerade heute verbrannte. Es wäre mehr ein symbolischer Akt gewesen, ein Freudenfeuer, nun, da die schlechten Zeiten vorbei waren. Pech. Dann musste das eben warten, bis sie Gelegenheit hatte, eine richtige Suchaktion zu starten. Hauptsache, Antonia war nicht darauf gestoßen. Aber warum sollte die nach etwas suchen, von dem sie nicht wusste, dass es existierte?, beruhigte sie sich. Nein, sicherlich trog sie nur ihre Erinnerung. Kein Wunder, sie war wirklich nicht bei Verstand gewesen.
    Sie hatte sich schon an jenem Morgen schlecht gefühlt und angenommen, dass sie sich Christians Erkältung eingefangen hatte. Trotzdem war sie mit Antonia nach Oldenburg gefahren. Es war der letzte Ferientag gewesen, die Shopping-Tour lange versprochen, sie hatte es nicht übers Herz gebracht, Antonia zu vertrösten. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn sie nur zu Hause gewesen wäre. Oder wenn Christian zur Arbeit gegangen wäre. Dann hätte nicht er den Briefkasten geöffnet, sondern sie selbst. Und einen Brief ohne Absender hätte sie bestimmt nicht für ihn liegen gelassen. Oder doch? Zumindest hätte sie die Chance gehabt, ihn zum Bleiben zu bewegen. Ihm wenigstens ein »Leb wohl« mit auf den Weg zu geben. Stattdessen war er einfach fort gewesen.
    Sie rammte die Schubladen zurück an ihren Platz. Nicht heute, beschwor sie sich, sprang auf und lief hinüber ins Schlafzimmer.
    Alles war dort, wo es hingehörte. Unterwäsche und Strumpfhose lagen auf dem Bett bereit. Die Pumps standen ordentlich davor, gestern hatte sie sie noch einmal poliert, nachdem sie die letzten zwei Wochen jeden Tag eine halbe Stunde geübt hatte, in ihnen zu gehen. Sie war solche Absätze nicht gewöhnt, aber es hatte genau dieses Paar Schuhe sein müssen, jedes andere hätte die Wirkung des Kostüms völlig zunichtegemacht.
    Sie wirbelte herum und betrachtete zum tausendsten Mal, was Kostüm zu nennen der Sache einfach nicht gerecht wurde: ein schmales Bolerojäckchen und ein weit schwingender Rock, knapp oberhalb der Knie endend, aus einem seidig schimmernden blaugrünen Stoff, der perfekt zu ihren Augen passte. Viel zu teuer natürlich und absolut nicht alltagstauglich, trotzdem hatte sie nicht widerstehen können, eigens zwei der Münzen aus der Sammlung ihres Großvaters versetzen müssen. Das war es wert. Frank würde Augen machen. Sie grinste, ungefähr so breit, wie Antonia ihren Teddy angestrahlt hatte, als sie noch fast ein Baby gewesen war. Den Teddy gab es heute noch, er saß auf dem Bettkasten und bewachte den Schlaf ihrer Tochter. Das Grinsen war selten geworden. Wo trieb sie sich nur herum? Es war nicht mehr viel Zeit, bis sie losmussten.
    Sie ging ins Bad und schaltete das Licht über dem Spiegel ein, bevor sie sich zu schminken begann. Da waren sie wieder, die trüben Gedanken. Wie sie damals heimgekommen war und sofort gewusst hatte, dass etwas nicht stimmte. Das Haus hatte sich so leer angefühlt, dass sie gar nicht erst nach Christian gerufen hatte. Wie sie ganz sachte die Haustür hinter sich zugedrückt hatte und in die Küche geschlichen war, um die Einkäufe abzulegen. Von dort ins Wohnzimmer. Niemand da. Die Couch war verwaist gewesen, die Wolldecke halb auf dem Boden, ein fast volles Glas auf dem Tisch, sie hatte daran geschnuppert, Zitrone, längst erkaltet. Vielleicht war er nur zum Arzt gegangen, hatte sie noch gehofft, wider besseres Wissen, sie konnte sich nicht erinnern, dass er überhaupt je bei einem Arzt gewesen war.
    Und dann war ihr Blick auf den Brief gefallen, der auf ebenjenem Sekretär gelegen hatte wie achtlos vergessen. Schon von Weitem hatten die großen, steilen Buchstaben sie förmlich angesprungen, und je näher sie herangetreten war, desto bedrohlicher war ihr die Schrift vorgekommen. Das konnte unmöglich Christian geschrieben haben, sicher nicht. Mitten auf dem Brief hatte der kleine Anhänger gelegen, das halbe Herz, dessen Gegenstück sie um den Hals trug, und da hatte sie Bescheid gewusst. Jemand hatte ihr Geheimnis verraten, aber wer?
    Der Brief trug keine Unterschrift. Mit zitternden Händen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher