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Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Titel: Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben
Autoren: Beate Sommer
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gestern strahlender Spätsommer. Über zwanzig Grad. Irre für Ende Oktober. Sie wandte sich zur Musikanlage, zögerte, warf einen Blick auf die Uhr. Noch zehn Minuten. Das reichte. Sie schaltete den CD -Player ein und drehte die Lautstärke hoch, bevor sie in der Mitte des Raums Aufstellung nahm.
    Gott, wie sie dieses Stück liebte. »Barkarole«, sagte sie laut, allein das Wort war Musik, und wiegte sich im sanften Rhythmus der Einführung, die die Melodie schon erahnen lässt, die Vorfreude hinauszögert, bis endlich, endlich die erste Stimme erklingt, dann die zweite, und sie stimmt ein, obwohl sie den Text nicht kann, kein Wort versteht, der totale Kitsch wahrscheinlich, doch sie spürt die Tragik, die Heiterkeit, das ganz große Gefühl und lässt sich tragen, dreht sich im Kreis, die Arme weit ausgebreitet, wechselt mal zur einen, mal zur anderen Stimme und wünscht, sie könnte beide sein, die perfekte Harmonie, in der die eine nichts ist ohne die andere.
    Als das Stück zu Ende war, verbeugte sie sich und schaltete die Anlage wieder aus.
    »Antonia?«, rief sie, hoffte für einen Augenblick, dass sie sie bloß nicht kommen gehört hatte. Sie stieß die angehaltene Luft wieder aus. Wie sollte sie das Frank erklären? Er hatte sich so sehr um Antonia bemüht, und jetzt kam sie nicht mal zur Hochzeit? Sie konnte es nicht ändern, und vielleicht, malte sie sich aus, hatte sie sich nur verspätet und beschlossen, direkt zum Standesamt zu kommen. Es hupte. Frank! Sie suchte ihre Brille und legte sie aufs Sofa zwischen die Kissen, bevor sie zur Tür stürmte. Erst draußen bemühte sie sich um einen würdevollen Gang.
    * * *
    Antonia drückte sich an die Hauswand neben der Terrassentür. Dieses verdammte Gejaule! Sie konnte es echt nicht mehr hören. Permanent dudelte ihre Mutter das behämmerte Lied und sang auch noch dazu. Ohne Text, klaro, nur la, la, la. »Schade, dass ich kein Italienisch kann«, hatte sie neulich gejammert. Als wenn das helfen würde, hatte Antonia gedacht und darauf hingewiesen, dass es sich um Französisch handelte. Okay, ihre Stimme war schon voll krass, könnte sie was draus machen. Wenn.
    Auf jeden Fall war sie gut drauf in letzter Zeit. Direkt high. Und alles wegen Frank. Der tat ihr gut, das musste sie zugeben. Trotzdem mochte sie ihn nicht. Einfach so, ohne Begründung. Konnte sie natürlich nicht laut sagen. Na ja, wollte sie auch nicht. Das hätte bloß endlose Vorträge zur Folge, über das, was er alles konnte, hatte, war. Ihre Mutter nervte sowieso schon dauernd mit ihrem Frank-sagt-auch-dass. Wann immer der glaubte, seine Meinung sei gefragt. Also eigentlich immer.
    Die Grübelei brachte nichts. Sie schlug mit dem Hinterkopf gegen die Hauswand. Mann ey, das tat weh! Zerknirscht rieb sie sich die schmerzende Stelle. Es war eh zu spät. Sie würde ihn heiraten. In – sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr – einer halben Stunde. Gab es dieses »Ist jemand hier, der gegen diese Verbindung etwas einzuwenden hat, so spreche er jetzt oder schweige für immer« eigentlich nur in amerikanischen Filmen, oder war das tatsächlich so üblich? Das würde natürlich auch nichts ändern, sie würde sich bestimmt nicht trauen, was zu sagen. Was auch? Mehr als »Ich bin dagegen« und mit dem Fuß aufzustampfen wie ein Kleinkind hätte sie nicht zu melden. Und genau dafür würde man sie halten: ein trotziges Gör, das der Mutter ihr Glück nicht gönnte, weil es Schiss hatte, sie künftig teilen zu müssen.
    Dabei war es genau umgekehrt. Sie hatte überhaupt nichts dagegen, sie zu teilen, etwas weniger Aufmerksamkeit zu erhalten. Und sie liebte ihre Mutter wirklich. Auch wenn sie das im Moment nicht so raushängen ließ. Sie hatte es echt verdient, dass sie wieder glücklich wurde. Nur nicht mit Frank. Da war was in seinem Blick, das sie nicht mochte. So was Berechnendes irgendwie. Oder bildete sie sich das bloß ein?
    War es vielleicht wirklich so, dass sie ihren Vater vermisste und nicht wollte, dass ein anderer seinen Platz einnahm? Was, wenn er doch noch zurückkäme? Glaubte sie zwar nicht, schließlich war das jetzt schon fünf Jahre her, dass er sich aus dem Staub gemacht hatte, ohne Abschied, ohne Erklärung. Und sich die ganze Zeit nicht ein einziges Mal gemeldet hatte. Tat man so was seiner eigenen Tochter an? Sie wusste nicht, ob sie ihm das verzeihen würde. Okay, wahrscheinlich schon. Nach einer Weile. Einer langen Weile, Strafe musste schließlich sein. Du spinnst, schimpfte
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