Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben

Titel: Marilene-Mueller 04 - Wenn Ostfriesen sterben
Autoren: Beate Sommer
Vom Netzwerk:
Prolog
    Er wusste genau, was sie vorhatten, und sie spielte ihnen direkt in die Hände. Er lehnte mit dem Rücken am Tresen, ein Bier in der Hand, das zu ergründen er unter halb geschlossenen Lidern vorgab. Auf den ersten Blick mochte er gelangweilt wirken, bei näherem Hinsehen eher weltschmerzgeplagt, vielleicht nicht mehr ganz nüchtern. Tatsächlich hielt er sich schon lange an diesem einen Bier fest, nippte nur hin und wieder daran, und ihm entging nicht das Geringste.
    Gerade war Kelling an der Reihe, sich danebenzubenehmen, Breitbach derjenige, der sich als Retter aufspielte. Sie wechselten etwa alle halbe Stunde die Rollen, eingeleitet durch ein kaum merkliches Nicken, und immer fiel es dem Retter anheim, für frische Getränke zu sorgen. Sie füllten sie gemeinschaftlich ab, und nicht mal der Barkeeper erkannte, was da vor seinen Augen geschah. Oder es war ihm egal. War es derselbe wie in den Jahren zuvor? Wahrscheinlich nicht, nahm er an, sonst würde der Gute doch wohl einschreiten angesichts dieses offensichtlichen Rituals, dieses Kampftrinkens mit ungleichen Mitteln. Wenigstens nachfragen, ob sie nicht doch genug habe. Aber da schau her, auf einmal gab es ein Wasser für sie. Da erwiesen sie sich gar als lernfähig, das hatte er nicht erwartet.
    Betrunken sollte sie sein, jedoch nicht volltrunken wie die im letzten Jahr, die ihnen einfach weggekippt war, der ganze Spaß dahin und viel zu spät, um von vorn zu beginnen, weil jedes potenzielle Opfer sich längst anderen zugewandt hatte; auf Betriebsfeiern blieb niemand lang allein, nicht mal die Hässlichsten, vielleicht gerade die nicht.
    Diese nun war keineswegs hässlich, ganz im Gegenteil, nur war ihr das anscheinend nicht bewusst. Blickte sie nie in den Spiegel und sah, wie ihr Haar glänzte, überzogen war von einem goldenen Schimmer mit dem zartesten Hauch von Rot darin? Wie edel ihr Gesicht geformt war mit dieser schmalen, geraden Nase, den hohen Wangenknochen, dem Mund, der wie geschaffen war fürs Lächeln? Wie einzigartig ihre Augen waren, die ihr Gesicht dominierten, so groß und vom tiefsten, klarsten Blau, das man sich nur vorstellen konnte? Allein ihr Passfoto hatte ihn dazu bewogen, sie einzustellen, sie sah absolut hinreißend darauf aus, die Gazelle, die den Löwen wittert. Ihr Abschlusszeugnis hätte ihr vermutlich nirgends eine Stelle beschert, er hatte es kurzerhand aus ihrer Mappe entfernt und sie zum Vorstellungsgespräch geladen. Eine Katastrophe auch das, trotzdem hatte er nicht widerstehen können und ihr eine Stelle im Lager angeboten.
    Das war fast ein Jahr her. Kelling und Breitbach hatten erwartungsgemäß zu geifern begonnen, sobald sie ihrer ansichtig geworden waren, musste sie doch, gemessen an ihrem üblichen Beuteschema, unerreichbar erscheinen. Sie kamen nicht an sie heran. Es hatte Monate gedauert, bis sie von sich aus mehr als einen Gruß äußerte oder auch nur Fragen in vollständigen Sätzen beantwortete. Man sah sie selten, und wenn, dann gesenkten Kopfes und in Eile. Niemand wusste, wo sie ihre Pausen verbrachte, sie war in der Zeit einfach nicht aufzutreiben und auch nach Feierabend augenblicklich verschwunden.
    Gestern hatte er sie gerade noch abgepasst, ihr eine letzte Gelegenheit geboten, ihrem Schicksal zu entgehen, und sie gefragt, ob sie heute Abend seine Tischnachbarin sein wolle. Danke, nein, hatte sie gesagt, ihn nicht mal angesehen dabei, und war fortgehuscht.
    Sie hatte einfach nicht begriffen, wie ähnlich sie sich waren, mehr als das, sie waren seelenverwandt. Füreinander bestimmt. Mit jedem bloßen Nicken auf ein Kompliment, jedem Kopfschütteln auf eine Einladung, jeder weiteren stummen Zurückweisung all dessen, was er ihr zu Füßen hatte legen wollen, war seine Gewissheit stetig gewachsen. Jetzt war es zu spät.
    Der Tanz begann. Breitbach forderte sie gestenreich auf, doch sie schüttelte nur den Kopf. Er gab den Clown, den dicken, verbeugte sich ungelenk vor ihr, sagte etwas, und sie lachte errötend hinter vorgehaltener Hand. Doch dann gab sie auf einmal nach, folgte ihm unsicheren Ganges auf die Tanzfläche und ließ es zu, dass er sie an sich zog, nicht zu nah, noch nicht, doch mit erkennbar festem Griff. Es dauerte ein paar Takte, bis sie ihre Füße sortiert hatten, dann steuerte Breitbach sie geschickt an den anderen Paaren vorbei. Bei der ersten Drehung haperte es noch etwas, die zweite klappte schon recht gut, und sie überließ sich seiner Führung und begann, sich wohlzufühlen,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher