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Der Hühnerführer: Roman (German Edition)

Der Hühnerführer: Roman (German Edition)

Titel: Der Hühnerführer: Roman (German Edition)
Autoren: Hans Weitmayr
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1995 – Prolog
     
     
    Er hatte sein Opfer mit der wahrscheinlich besten Faustfeuerwaffe der Welt, einer Glock 17C, erschossen. Den Rückstoß hatte er kaum gespürt, bereits der erste Treffer war tödlich gewesen. Das war umso bemerkenswerter, als der eben abgegebene erst der zweite Schuss seines Lebens gewesen war.   
    Ruhig betrachtete er den Toten in dem diffusen Licht, das durch die verklebten Fliegengitter an den Fenstern fiel. Nach einer Ewigkeit, so schien es, fiel ihm auf, dass er zu atmen vergessen hatte. Scharf sog er die tropische Luft ein, die in dem großen Salon stand. Er horchte in sich hinein, lauschte nach einem Gefühl der Reue. Doch da war nichts. Das würde vielleicht später kommen. Aber nicht jetzt. Noch nicht.   
    Einen unbeteiligten Beobachter hätte die Abwesenheit dieses Gefühls wohl schockiert. Auf diesen Umstand angesprochen, hätte der Schütze aber wohl nur müde abgewunken. Wie es sich denn anfühle, ein Mörder zu sein, hätte der Zeuge vielleicht gefragt. Denn, dass er ein solcher sei, müsse wohl als unbestritten gelten, als das Opfer keine Waffe bei sich trug, was die Tat umso perfider machte, war dem nun Toten eine effektive Notwehr unter derartigen Umständen doch verwehrt geblieben.  
    Feige sei der Schuss gewesen, wäre dem Mann mit der Waffe in der Hand wohl vorgeworfen worden. Feige und geplant. Die übelste Sorte von Mord also.   
    Ihm, dem Schützen wäre diese Art Vorhaltung egal gewesen. Den Vorwurf der Feigheit hätte er bestätigt, aber dagegen, dass ihn die Tötung des Wehrlosen zu einem Mörder gemacht hätte, dagegen hätte er sich verwehrt – wobei er die Anschuldigung, einen Mord begangen zu haben, nicht in Abrede gestellt hätte. Das hätte den Unbeteiligten verwirrt und zu einer Bitte um Aufklärung geführt.   
    Zweifelhaft jedoch ist, ob der Täter auf diese Bitte eingegangen wäre.   
    Denn nun, nach gesetztem Akt fühlte er sich müde. Müder, als er alt war. Weshalb er sich, die Glock immer noch in der Hand, mühevoll in einen schweren Fauteuille niederließ. Der Lederbezug knarrte und ächzte unter dem Gewicht des Mannes – so, als schütze er immer noch das rohe Fleisch eines lebenden Wesens. Er schloss die Augen, wischte sich mit dem Handrücken die Schweißperlen von der Stirn. Ja, er schwitzte. Doch wieder nicht aus Schuld oder ob einer allfälligen, nachlassenden Anspannung. Es war die Schwüle, die ihm zu schaffen machte. Da half auch der träge vor sich hin rotierende Deckenventilator wenig. Kurz überlegte er, die Air Condition aufzudrehen, entschied sich dann aber dagegen; letzten Endes war es egal. Denn, auch wenn er sich nicht gänzlich sicher war, ging er doch davon aus, bald Besuch zu erhalten. Einen, der aus seiner Vergangenheit kam und eine Schuld einfordern würde.   
    Der Mann mit der Waffe würde dem Besucher keine Vorwürfe machen. Schulden haben beglichen zu werden. Mit Zins und Zinseszins. Das war Ehrensache und stand über allem. Genau das hatte er auch dem Toten gesagt. Wobei die Schuld des Ermordeten nicht so schwer wog, wie die des Schützen. Dafür hatte die Schuld des tot Daliegenden länger zurückgelegen. Sie war vor mehr als einem halben Leben, zunächst in kleinen Raten, dann aber auf ein Mal in einem derartigen Ausmaß aufgenommen worden, dass der Mörder an ihrer Stundung beinahe zu Grunde gegangen wäre.   
    Der Beobachter hätte an dieser Stelle gefragt, wieso sich der Mann, der behauptet hatte, seine Tat hätte ihn nicht zum Mörder gemacht, sich trotzdem als solchen bezeichnete. Der so Angesprochene hätte dann mühevoll die Augen geöffnet und schließlich vielleicht doch erzählt – eine Geschichte, die zu einer anderen, inzwischen fremden Zeit begonnen hatte und zu einem Ende gekommen war, bevor sie ihren Schluss gefunden hatte.  
     
     

  1959 
     
     
    Ich lernte Herrn Dvorschak über unsere gemeinsame Leidenschaft für Huhn kennen, wobei seine die meine, wie ich später feststellen sollte, bei weitem übertraf. Am Tag unserer ersten Begegnung jedenfalls erahnte ich weder unsere Gemeinsamkeit, noch die bei Herrn Dvorschak überaus bemerkenswerte Ausprägung derselben. Dazu war der Ort, an dem sich unsere Lebenswege kreuzten auch gar nicht angetan, handelte es sich doch um eine Räumlichkeit, die förmlicher und deshalb unpersönlicher gar nicht sein konnte: der Lobby eines Hotels in der Wiener Innenstadt.   
    Ich selbst befand mich hinter dem Rezeptionsschalter, Herr Dvorschak stand mir
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