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Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte

Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte

Titel: Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte
Autoren: Nicole Joens
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nimmt ihren Fuß mit dem Schlappsohlenstiefel und stellt ihn trotz des Matschschnees auf sein Knie. Miriam hält die Luft an. Grauer Matschfleck auf sehr neu aussehenden Jeans. Aus seiner Tasche zieht er eine Cellophantüte mit Zimtsternen, um die eine rote Weihnachtsschleife gebunden ist. Aha, der Zimtgeruch, da ist er. Mit einem unvergleichlichen Lächeln, wie nur echte Cowboys es zustande bringen, bindet er die rote Schleife vor den Augen der anderen Männer und ihrer hochschwangeren Frauen um Miriams kaputte Sohle.
    »So. Sonst gibt’s am Ende noch a Unglück!«
    In Miriam explodiert ein inneres Glücksfeuerwerk auf sämtlichen Gefühlssynapsen, und ihre Augen werden verräterisch feucht. Dieser Schuft!
    »Blödsinn!«, sagt sie und meint Danke.

ZWEITES KAPITEL

    JOSEFSTAB
    »Jetzt, jetzt … zweihunderttausend!«
    Bene, der nun auf der Rückbank sitzt, jubelt auf der rasanten Autobahnfahrt zurück nach München. Ihn fasziniert der Kilometerstand des alten Mercedes, der gerade die volle Zahl erreicht. Seine Stimme ist aufgeregt.
    »Ich mag alte Motoren! Papas Auto hatte bei dem Unfall gerade mal achtzigtausend drauf …«
    »Ach, ja?«
    Abgelenkt sucht Joe im CD-Player nach einem bestimmten Lied, und es fällt ihm gar nicht ein, weiter nachzufragen. Ein spanischer Beat, der Joe an warme Sonne und nackte Füße erinnert, versetzt ihn in Ferienstimmung. Was für eine Glücksfahrt das mit den netten Kindern ist. Joe klopft den Rhythmus auf seinem Lenkrad und erzählt gut gelaunt von seiner Molly, denn so heißt sein Taxi, mit dem er insgesamt schon fast eine Million Kilometer gefahren ist, verteilt auf mehrere Motoren in einer einzigen Karosserie. Trotzdem ist eine Million Kilometer eine gewaltige Zahl. Joe war mit Molly bereits in der Sahara. Seit damals, als alles anders wurde und Joe aus dem Chiemgau nach München in seine winzige Wohnung zog, hält er sich am liebsten in seinem Wagen auf. Zwölf Jahre ist das Unglück jetzt her, das ihn vom Landmenschen zum anonymen Stadtsingle hat werden lassen. Molly war seine Rettung.
    Joe teilt seine Zimtsterne in Cellophan mit den Kindern und hängt dabei seinen eigenen Gedanken nach. Seine Mutter backt in der Adventszeit immer am Sonntag Plätzchen. Am letzten Wochenende, als Joe bei seinen Eltern draußen auf dem Hof war, hat sie ihm einen ganzen Schwung mitgegeben, weil sie nie weiß, ob er zu Weihnachten wirklich bei ihnen sein wird. In der Weihnachtszeit fällt es Joe immer noch nicht leicht, daheim zu sein. Sein Vater hält Joe mit traurigen Augen jedes Mal auf stille Art den Spiegel des Unglücks vor. Hilla, seine immer fröhliche Mutter, fasst in Worte, was Joe nur ungern wahrhaben will. Dem Leben muss er sich stellen. Welchem Leben, fragt er dann immer und lacht sein warmes Lachen, wenn er seine Mutter zum Abschied liebevoll umarmt. Joe weiß, was für ein Versager er in den Augen seiner Eltern ist. Für seinen Vater ist es noch schlimmer als für die Mutter. Ernst lässt Joes Berührungen in letzter Zeit nur noch selten zu. In seiner ruhigen, gradlinigen Art ist er Joes größter Kritiker, sowohl musikalisch als auch menschlich. Feige findet er seinen Sohn und zeigt das auch. Ist Joe überhaupt noch einer von ihnen? Fast schmerzhaft ist Joe von dem isoliert, was für seine Freunde im Dorf seit Jahren schützende Hülle ist. Auf dem Land hat man Familie. Aber allein das Wort bereitet Joe ein fast körperliches Unbehagen.
    »Sind wir bald da?«
    Die Frage von der Rückbank durchbricht zögernd die mit einem Mal bedrückende Stille, die Joes Gedanken begleitet.
    »Nur noch a Viertelstund’. Du musst dich gedulden.«
    Wie von alleine verfällt Joe in seinen Chiemgauer Dialekt. Das kommt davon, wenn er an zu Hause denkt. Er hat ein Gefühl von Schuld, wenn er an seine Mutter denkt, die ihm all ihre Liebe geschenkt hat und es immer noch tut. Nur ein einziges Mal, als sie am Ende ihrer Nerven war, weil Joe viel zu spät zu der diamantenen Hochzeit einer seiner zahllosen Tanten kam, hatte sie ihm ihre Wut entgegengeschleudert. Kein Enkelkind, nicht ein einziges, hat Joes Mutter vorzuweisen. Joe hat keine Geschwister und nach dem Unglück auch selbst nie wieder ernsthaft daran gedacht, eine Familie zu gründen. Allein der Gedanke daran versetzt ihn in Panik. Bleiern fühlt sich das Lenkrad in seiner Hand an und merkwürdig schwer. Die Art, wie die Kleine auf dem Rücksitz ihre Puppe wiegt, stimmt Joe jetzt traurig. Auch Bene starrt stumm aus dem Fenster. Joe seufzt.
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