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Denk an unsere Liebe

Denk an unsere Liebe

Titel: Denk an unsere Liebe
Autoren: Berte Bratt
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    Zum vierten Male schaute Eivind Löngard auf die Uhr, machte kehrt und schlenderte wieder zum Kolonialwarenladen an der Ecke zurück. Wenn er sich dann noch einmal umdrehte, würde er sie sicher erblicken.
    Er zwang sich, langsam zu gehen, und drehte sich nicht um, bevor er die Ecke erreicht hatte. Dann ging er wieder zurück, in demselben langsamen Tempo, reckte den Hals und schaute.
    Noch immer nichts zu sehen! Mit resignierter Miene zündete er sich noch eine Zigarette an und sah zum fünften Male auf die Uhr. Jetzt war es zwölf Minuten über die Zeit.
    Eivind war hungrig, und dann hatte er einen Tisch im „Grandhotel“ bestellt. Daß Toni auch heute wieder nicht pünktlich sein konnte!
    Nun ja, er wußte wohl, daß sie nicht Herr über ihre Zeit war. Toni hatte in diesen Monaten, seit er sich mit ihr verlobte, seine Geduld schwer auf die Probe gestellt.
    Er wußte, wie es gehen würde. In einer Sekunde oder in einigen Minuten würde sie kommen, unglücklich aussehen, um Entschuldigung bitten und erklären, daß es nicht ihre Schuld sei. Sie konnte einfach nicht abbrechen, wenn ein armer, alter Knabe oder eine besorgte Hausfrau eine Aussprache verlangte. Sie mußte zuhören und interessiert sein.
    Im Grunde verstand Eivind das ja gut. Und er war auch stolz auf sein tüchtiges Mädel, das eine so verantwortungsvolle Arbeit hatte und seine Stellung so gut ausfüllte.
    Eivind wußte, der Chefarzt war mehr als zufrieden mit ihr. Er war es auch, der den Posten eines Kurators im Krankenhaus durchgesetzt hatte. Es kostete ihn viel Arbeit und viel Diplomatie, und es war gar nicht leicht gewesen, einen Menschen zu finden, der diesen Posten übernehmen konnte. Aber unter den wenigen Bewerbern hatte der Chefarzt gleich Toni Bang ausersehen: Dreißig Jahre alt, ausgebildete Psychologin; sie hatte viel auf sozialem Gebiet gearbeitet, war im Ausland gewesen und hatte das Wirken eines Kurators studiert.
    Toni wurde zu einer persönlichen Vorstellung gebeten. Und der Chefarzt mochte sie, ihre brandroten Locken, die muntre kleine Stupsnase, die ulkigen Sommersprossen und die wachen, klugen blauen Augen. Der Chefarzt hatte gelächelt. Toni sah wirklich jung aus für ihre dreißig Jahre.
    So wurde sie angestellt. Bürozeit von zehn bis drei. Sie sollte nur mit allen Problemen zum Chefarzt kommen! Das Ganze war ein Experiment; man mußte zusammenarbeiten.
    Als Eivind seine Toni kennenlernte und sie als „der neue Kurator im Krankenhaus“ vorgestellt wurde, war er ebenso wenig orientiert wie die meisten andern.
    „Was ist eigentlich ein Kurator?“ hatte er gefragt, mit einem kleinen entschuldigenden Lächeln wegen seiner Unwissenheit. Und Toni hatte erklärt und erzählt, warm und eifrig, mit ihrer klaren, vernünftigen Stimme.
    „Verstehen Sie“, sagte sie, „eine Menge Menschen, die im Krankenhaus liegen, sind seelisch ebenso sehr krank wie körperlich. Viele von ihnen haben einen gewaltigen Respekt vor den Ärzten und Schwestern, sie wagen einfach nicht, mit ihnen zu sprechen. Außerdem, wissen Sie, in einem so großen Krankenhaus haben die Arzte und Schwestern keine Gelegenheit, sich um jeden einzelnen Patienten auch seelisch zu kümmern, sie haben genug zu tun, den kranken Körper zu pflegen und zu heilen. Der Kurator, sehen Sie, nimmt sich der seelischen Belange an. Da liegt vielleicht eine Hausfrau und grämt sich und schläft nicht, weil sie sich um die Kinder daheim ängstigt. Dort liegt ein junger Seemann, der ganz allein ist in der Stadt, der würde so gern den Eltern daheim schreiben und erzählen, wo er liegt, und daß sie sich nicht ängstigen sollen. Aber es graut ihm vorm Briefeschreiben, das ist eine zu große und ungewohnte Sache für ihn. – Da liegt ein Familienvater und grübelt und sorgt sich, wie es weitergehen soll, wenn er so lange krank ist – dort hat ein Sterbender das Bedürfnis, noch seinen letzten Willen zu offenbaren… Ja, Sie verstehen, es gibt tausend Probleme, mit denen die Patienten sich herumschlagen. Oft ist ihnen schon geholfen, wenn sie sich mit einem Menschen nur aussprechen können. – Ein andermal kann man mit einem vernünftigen Rat helfen oder kann eine Verbindung mit dem Zuhause aufnehmen, einen Kontakt schaffen – nun ja, verstehen Sie jetzt so ungefähr?“
    Ja, Eivind verstand. Und schon das erstemal, als er Toni traf, war er beeindruckt von ihrer Stärke, ihrer Arbeitsfreude und dem warmen menschlichen Verstehen, das aus ihren blauen Augen leuchtete.
    Er
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