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Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte

Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte

Titel: Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte
Autoren: Nicole Joens
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jetzt ist seit ein paar Tagen auch das letzte bisschen Hoffnung dahin. Sie wird Anna-Sophie und Benedikt verlieren, wenn sie bis zum Ende des Jahres nicht entweder einen soliden Job in München oder aber so etwas wie einen brauchbaren Ehemann und vor allem Vater für ihre zweieinhalb Kinder aufzuweisen hat. Hauptsache, sie und die Kinder sind versorgt, das zumindest würde die Münchner Behörden ungemein beruhigen. Aber genau das ist das Problem. Miriam fällt im Moment durch alle Raster. Weder ist mit einem Neugeborenen ein Job möglich, noch stehen die Männer bei einer Mutter mit fast drei Kindern Schlange. Noch hat Miriam es den beiden Kindern nicht gesagt. Sie wird es erst tun, wenn es wirklich unvermeidbar ist. Anna-Sophie und Bene sind die Kinder ihrer erst kürzlich mit ihrem Mann verunglückten Schwester. Beide würden an der Trennung von Miriam zerbrechen, das ist Miriams Angst, die ihr im Moment stärker als alles andere die Kehle zuschnürt.
    »Willst du auch mal abbeißen?«
    Anna-Sophie hält Miriam den Rest des Weihnachtsmarkt-Grillwürstchens in der pappigen Semmel hin. Obwohl sie vor Kälte zittert, hat Anna-Sophie ein breites Lächeln auf den Lippen. Voller Vertrauen sieht sie zu ihrer Tante hoch. Dieses Vertrauen der Kinder ist es, das Miriam unbedingt erhalten muss, egal, was geschieht. Es muss einen Weg geben, dass sie mit den Kindern zusammenbleiben kann, aber der Countdown läuft gegen sie. Spätestens wenn Miriam wegen der Geburt als Betreuerin ausfällt, wird ihr das Jugendamt die Pistole auf die Brust setzen.
    »Ne, danke! Ich steh im Moment nicht so auf Grillwürstchen!«
    Miriam zieht der Sechsjährigen liebevoll die vom Schnee feuchte Mütze tiefer über die dunkel gelockten Haare. Demonstrativ verzieht sie das Gesicht.
    »Ich glaube, Würstchen mag das Baby nicht. Gib es lieber deinem Bruder, der kann gar nicht genug davon kriegen. Und das hier machen wir lieber zu, sonst erkältest du dich wieder.«
    Miriam kniet trotz ihres enormen Bauchs nieder, um noch einmal zu versuchen, den verklemmten Reißverschluss am Anorak der Kleinen mit ihren klammen Fingern zuzuziehen. Vergeblich, das Ding ist kaputt. Miriam beginnt, in ihrer riesigen Handtasche nach einer Sicherheitsnadel zu suchen.
    Anna-Sophie lässt ihren Bruder abbeißen, aber bei dem Transfer klecksen jetzt noch Spuren von goldenem Senf auf das schrille Muster des billigen Kleidungsstücks aus der Altkleidersammlung. Miriam seufzt. Irgendwie passt es zum Muster. Jetzt noch eine Sicherheitsnadel, und dann ist das Bild des verarmten, verwahrlosten kleinen Mädchens so gut wie perfekt.
    Bene beißt noch einmal von Anna-Sophies Semmel ab, sieht seine Tante aber schuldbewusst an. Darf er wirklich aufessen? Bene hat zurzeit immer Hunger, was auch an der unzureichenden Ernährung zu Hause liegt. Nur die billigsten Kohlehydrate konnten sie sich in den letzten Wochen noch leisten. Miriam nickt.
    »Klar, nimm du. Ich bin ohnehin satt!«
    Wieder einer Lüge. Miriam knurrt der Magen. Ihr gelingt im Moment noch nicht mal ein kleines Lächeln. Das ständige Lügenmüssen, um in dieser Stadt mit den beiden Kindern zu überleben, hat Miriam das Lachen gründlich vom Gesicht gewischt. Wenn sie den Mund verzieht, handelt es sich inzwischen um eine Art Grimasse, hinter der die Angst lauert. Der Abgrund.
    Dabei war Miriam in Dresden eine schöne Frau gewesen. Sie hatte noch im letzten Jahr nebenbei ab und zu als Model gejobbt. Groß gewachsen, anmutig, mit schönen kräftigen Haaren und ausdrucksvollen Augen, war sie über die Künstleragentur oft angefragt worden. Dazu noch ihre melodiöse Stimme, mit der sie nebenbei bei Choraufnahmen zusätzliches Geld verdienen konnte. Ihr Leben war leicht gewesen, immer abwechslungsreich und voller Hoffnung. Doch seit dem Tod ihrer Schwester sind Aussehen und Stimme auf Halbmast. Miriams innerer Garten, einst eine beschützte Laube mit Apfelbäumen, Rittersporn und duftendem Jasmin, ist gänzlich verschwunden. Wenn sie jetzt für einen Augenblick ihre Augen schließt, um sich nach innen zu wenden, blickt sie auf eine ausgetrocknete Wüste, und oft ist es sogar noch schlimmer. Bisweilen rasen in ihrem Inneren auf einer zehnspurigen Autobahn Höllenfahrzeuge der Angst um die Wette. Seit ihre Schwester und ihr Mann letzten Fasching auf der Heimfahrt von einer Party auf dem Glatteis tödlich verunglückt sind, gibt es in Miriams Inneren keine Apfelbäume mehr. Aus ihrer warmen, sicheren Mitte hinaus wurde sie in ein
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