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Das Musical

Das Musical

Titel: Das Musical
Autoren: Robert Rankin
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Schau was du willst
soll lauten das Gesetz
    Der Planet Erde rollte weiter in immer enger werdenden Kreisen um die Sonne. Und da er das seit einer größeren Anzahl von Jahren machte, als irgend jemand zurückdenken konnte, schien es keinen Grund zu geben für augenblickliche Besorgnis. Nicht daß die Dinge unten auf der alten Terra firma zum Lachen gewesen wären, meine Güte, bestimmt nicht. Die Dinge waren nicht mehr so wie früher, seit sich der aus dem Amt scheidende US-Präsident Wayne L. Wormwood in einem Augenblick lockerer Unbekümmertheit entschieden hatte, genau in dem Augenblick auf den roten Knopf zu drücken, in dem die Neujahrsglocken das einundzwanzigste Jahrhundert einläuteten.
    Diese ganz allgemein unwillkommene Wendung im Lauf der Dinge hatte viele mit heruntergelassenen Hosen erwischt und definitiv dem Abgesang auf die Guten Alten Zeiten sehr viel von seinem Frohsinn genommen. Zumindest die Anhänger des lange verstorbenen Nostradamus kamen in den Genuß der zweifelhaften Befriedigung, in den letzten vier Minuten ihres Lebens ›Ich hab’s dir doch gesagt!‹ zu jedem sagen zu können, der geneigt schien zuzuhören.
    Das Nukleare-Holocaust-Ereignis (NHE), wie die Medien diesen Zwischenfall später nannten, war eine ziemlich laute und beunruhigende Angelegenheit. Eine Angelegenheit, die von den natürlichen Pessimisten als ›das Ende der Zivilisation, wie wir sie kennen‹ betrachtet wurde. Doch selbstverständlich war es nichts dergleichen, und eine überraschende Anzahl von Leuten überstand die ganze Sache relativ unbeschadet, wenn nicht sogar völlig klaglos. Die Regierungen jener Tage meisterten die Krise mit einer derart bemerkenswerten Fassung, daß dem Beobachter verzeihlicherweise der verzeihliche Gedanke kommen mochte, sie hätten längst damit gerechnet. Obwohl das Trinkwasser ein wenig zweifelhaft war und Lamm für die nächsten Jahrhunderte nicht mehr auf dem Speiseplan stehen würde, dauerte es keine Woche, bis die Fernsehsender wieder Online waren, und das war keine Schlechte Sache™. Und es war ermutigend festzustellen, daß nicht nur die Arbeitslosigkeit nahezu völlig verschwand, genau wie die Regierungen es schon lange versprochen hatten, nein, auch jeglicher Rassismus hörte praktisch über Nacht auf zu existieren.
    Die Menschheit schien friedlich vereinigt unter dem Banner einer einzigen Hautfarbe.
    Einem unansehnlichen, schmutzigen Grün.
    Doch wie jemand beinahe einmal gesagt hätte: Man kann es unmöglich allen die ganze Zeit über recht machen. Und selbst heute, fünfzig Jahre später, nachdem der Rauch langsam anfängt sich zu setzen, die Strahlung zurückgeht und wieder dieses nebulöse Etwas herrscht, das so häufig als Zustand der Normalität bezeichnet wird, standen auf den Gesichtern von Mister und Mrs. Otto Normalverbraucher keinerlei Anzeichen einer ausbrechenden Euphorie zu lesen.
    Nicht daß sich irgend jemand laut beschwert hätte, und warum auch?
    Die heutigen nuklearen Familien hatten schließlich allen Grund, dankbar zu sein. Drei anständige Mahlzeiten die Woche, unbeschränktes Kabelfernsehen, konstante Zimmertemperaturen, niedrige Sozialabgaben und freie Müllabfuhr.
    Und Freizeit im Überfluß.
    Selbstverständlich war es nicht jedermanns Tasse voller Enzo-Protein-Synthetika, die kurze Lebensspanne in einem Bunker eingesperrt zu verbringen, fernzusehen und die weiteren Entwicklungen abzuwarten. Doch es verschaffte zumindest die Befriedigung zu wissen, daß man selbst hier seinen Beitrag zum strahlenden Wiederaufbau zu leisten vermochte.
    Aktives Fernsehen hieß das neue Spiel, tief unter der Erde.
    Was von der Welt oben noch übrig war, stand den zum Bunker Verdammten mit einem einzigen Fingerstumpendruck auf die Fernbedienung zur Ansicht bereit. Und es gab eine ganze Menge zu sehen. Die Umerziehungsprogramme, die religiösen Übungen, die Werbung für Essen, die Spielshows, ganz zu schweigen von den Sendungen der öffentlichen Anstalten. Es war alles da, und die Entscheidung, was man ansah und zu welcher Zeit, war einem ganz allein überlassen. Ein verfassungsmäßiges Recht.
    Die Regierung verlangte nichts weiter, als daß der Fernseher lief. Als Anreiz und zur Belohnung hatte sie ein System eingeführt, das Stück für Stück ganz genauso brillant und göttlich inspiriert war wie die Radkralle im London des zwanzigsten Jahrhunderts.
    Jeder Fernsehapparat verfügte heutzutage über einen eingebauten elektronischen Augenscanner, oder kurz EYESPY
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