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Das Musical

Das Musical

Titel: Das Musical
Autoren: Robert Rankin
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genannt. Dieses Wunderwerk moderner Technologie war imstande, den Betrachter anhand seiner individuellen Retinamuster zu erkennen, der sogenannten Irisabdrücke, die selbstverständlich bereits bei der Geburt vom Muttercomputer registriert worden waren. Nachdem die Identifikation stattgefunden hatte, protokollierte dieses geniale kleine Kästchen die Anzahl der wöchentlichen Fernsehstunden, die der fragliche Betrachter absolvierte, und übermittelte sie an eine Zentrale. Und diese Zentrale verteilte dann entsprechend den geleisteten Stunden Nahrung, medizinische Versorgungsgüter und Umquartierungs-Kredits.
    Es war ein wunderbares System. Unvoreingenommen, demokratisch, frei zugänglich für jedermann und mit einem offensichtlichen Appell an den natürlichen Konkurrenzgeist des Menschen.
    Es war tatsächlich so wunderbar, dieses System, daß sich die Fernsehsender genötigt fühlten, seine Vorzüge jede zweite Stunde ausgiebig zu preisen. Sie lobten – in knappen, präzisen Worten (und nicht die Spur von bissig) – die Einfachheit und Erhabenheit des Systems in ihrer berühmten Erkennungsmelodie, ›Je mehr du guckst, je mehr du tust – je mehr wir sehn, je mehr du kriegst.‹ (Nr. 4302, New World TV-Gesangbuch).
    Doch wie bereits gesagt, jeden Menschen zu jedem Zeitpunkt zufriedenzustellen ist eine unvollständige Wissenschaft. Und so hat auch dieses System, so nahezu perfekt wie nur irgend etwas von Menschenhand Geschaffenes, seine Dissidenten. Nicht daß irgend einer von ihnen sich tatsächlich laut in der Öffentlichkeit beschwert hätte, o nein. Selbstverständlich nicht. Keine Chance.
    Sie waren viel zu beschäftigt damit, vor ihren Fernsehschirmen zu sitzen, in dem verzweifelten Bemühen, genügend Kredits für das Umquartieren anzusammeln.

1
    Es gibt nur fünf große Männer,
    und drei von ihnen sind Hamburger.
    Don Van Vliet.
    Damals, in jenen sorgenfreien Tagen der 1980er Jahre, war es sehr angesagt unter den Wohlhabenden und Mächtigen dieser Erde, baufällige alte Häuser zu kaufen und restaurieren zu lassen. Mittelalterliche Fachwerkscheunen, Hopfenkarren, flügellahme Windmühlen, all das galt als todschick. Und man war nicht wirklich irgendwer, wenn man nicht mindestens eine wesleyanische Kapelle besaß, mit allem zugehörigem und intaktem Krimskrams, mühsam in eine Designerwohnung umgewandelt, komplett mit mehreren Badezimmern, Einbauküche und Solarium.
    Nur wenige besaßen genügend Voraussicht, um über das nachzudenken, was das zwanzigste Jahrhundert selbst als stilvolles Besitztum anzubieten hatte. Genaugenommen dauerte es bis weit in die Neunziger hinein, bevor das Potential aufgegebener Relikte jener Epoche – wie beispielsweise Supermärkte, Habitat-Lager, Schnelle Brüter und Legebatterien – voll ausgeschöpft wurde. Im Jahr 2050 jedoch gab es kaum noch ein über der Erde stehendes Gebäude, das nicht in Besitz genommen und umgebaut worden wäre.
     
    Rex Mundi bewohnte ein Appartement oben in der nordwestlichen Ecke von Odeon Towers. Das Gebäude stammte aus der Prä-NHE-Ära und war vor langer, langer Zeit ein Kino gewesen. Rex teilte sein Appartement mit einem beträchtlichen Stück falschen Rokoko-Deckenstucks und einem gewaltigen vergoldeten Engel. Diese grinsende Monstrosität hatte einst ihr Lächeln den Köpfen mehrerer Generationen von Kinobesuchern zuteil werden lassen. Heute starrte sie mit dem gleichen Frohsinn im Gesicht, wenngleich einer doch stark verkürzten Sehweite, auf das zerfledderte Stück Sackleinen, das Rex Mundi als Teppich diente. Es war ein vergleichsweise kleiner Preis, den er für das Wohnen auf der Oberfläche zu zahlen hatte. Sechs Etagen tiefer teilte Mrs. Maycroft ihre Räumlichkeiten mit mehreren Reihen von Kinostühlen, und auch die junge Frau, die im einstigen Tabakkiosk lebte, hatte sich noch nie beschwert. Was das alte Ehepaar betraf, dem die Herrentoilette als Quartier zugewiesen worden war, daran wollte Rex Mundi lieber erst gar nicht denken.
    An diesem besonderen Morgen saß Rex in seinem selbstgebauten Lehnsessel und starrte auf die flackernde Bildröhre. Es war die klassische Haltung des Aktiven Zuschauers™. Entspannt und doch aufmerksam, den rechten Daumen um die und den Zeigefingerstumpen auf der Fernbedienung, der Gesichtsausdruck wach, die Augen weit geöffnet.
    Doch damit endeten auch schon sämtliche Ähnlichkeiten. Rex Mundi schlief nämlich tief und fest.
    Sein alter Onkel Tony hatte Rex diese Technik beigebracht, als er noch ein
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