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Vollendet (German Edition)

Vollendet (German Edition)

Titel: Vollendet (German Edition)
Autoren: Neal Shusterman
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1. Connor
    »Du kannst dich verstecken«, sagt Ariana. »Wer so clever ist wie du, hat gute Chancen, bis achtzehn zu überleben.«
    Connor ist sich da nicht so sicher, aber wenn er in Arianas Augen blickt, verfliegen seine Zweifel, wenigstens für einen Moment. Ihre Augen sind von einem tollen Violett, mit grauen Einsprengseln. Sie macht jede Mode mit, lässt sich immer die neuesten Pigmente spritzen, sobald sie in sind. Connor hat sich für so etwas nie interessiert. Seine Augenfarbe ist noch immer so, wie sie von Anfang an war – braun. Nicht einmal tätowieren ließ er sich, als er klein war, wie die vielen anderen Kinder. Die einzige Farbe auf seiner Haut kommt von der Sommersonne, aber jetzt im November ist die Bräune längst verblasst. Er will nicht daran denken, dass er nie wieder einen Sommer erleben wird. Wenigstens nicht als Connor Lassiter. Nicht zu fassen, dass ihm mit sechzehn Jahren sein Leben genommen werden soll.
    In Arianas violetten Augen glitzern Tränen, die ihr über die Wangen kullern, wenn sie blinzelt. »Es tut mir so leid, Connor.« Sie nimmt ihn in den Arm, und einen Moment lang scheint alles in Ordnung, als wären sie beide die einzigen Menschen auf der Welt. In diesem Augenblick kommt sich Connor unbesiegbar und unangreifbar vor … aber sie lässt ihn los, der Augenblick ist vorbei, und die Welt um ihn herum kehrt zurück. Die Autobahn unter ihm vibriert, wenn Autos vorbeifahren, deren Insassen nicht wissen oder die es nicht kümmert, dass er hier sitzt. Und er ist einfach wieder ein Junge eine Woche vor der Umwandlung.
    Die leisen, hoffnungsvollen Worte, die Ariana ihm zuflüstert, helfen nicht mehr. Er kann sie kaum verstehen wegen des lärmenden Verkehrs. Über diesen Ort, an dem sie sich vor der Welt verkriechen, schütteln Erwachsene den Kopf, dankbar, dass ihre eigenen Kinder nicht so dumm sind, auf dem Sims einer Autobahnüberführung herumzulungern. Für Connor geht es nicht um Dummheit, nicht einmal um Aufbegehren, sondern darum, das Leben zu spüren. Hier auf diesem Sims, verborgen hinter einem Schild mit der Aufschrift »Ausfahrt«, fühlt er sich wohl. Klar, ein falscher Schritt und er klebt auf dem Asphalt. Doch das Leben am Abgrund ist für Connor nichts Neues.
    Kein anderes Mädchen hat er jemals mit hierhergebracht, aber das hat er Ariana nicht erzählt. Er schließt die Augen und spürt die Vibrationen des Verkehrs, als würden sie zu ihm gehören und durch seine Venen pulsieren. Hier konnte er immer Abstand gewinnen, wenn er mit seinen Eltern gestritten hatte oder einfach gefrustet war. Jetzt geht es nicht mehr um Frust, und auch nicht um Streit mit seiner Mom oder seinem Dad. Es gibt nichts mehr, worüber sie streiten könnten. Seine Eltern haben die Verfügung unterzeichnet; die Sache ist beschlossen.
    »Lass uns abhauen«, sagt Ariana. »Ich hab so genug von allem. Von meiner Familie, von der Schule, einfach von allem. EA – und nicht mehr zurückschauen.«
    Connor denkt darüber nach. Die Vorstellung, das ganz allein durchzuziehen, erschreckt ihn. In der Schule gibt er sich ziemlich cool, als hätte er vor nichts und niemandem Angst, aber alleine abhauen? Hätte er den Mut dazu? Doch wenn Ariana mitkäme, wäre das etwas anderes. Dann wäre er nicht allein. »Meinst du das ernst?«
    Ariana schaut ihn mit ihren magischen Augen an: »Na klar. Natürlich meine ich das ernst. Ich würde mitkommen – wenn du mich darum bittest.«
    Das bedeutet viel. Zusammen mit einem Wandler abzuhauen ist echte Hingabe. Dass sie das tun würde, rührt ihn. Weil er keinen Ton herausbringt, küsst er sie. Und trotz allem, was in seinem Leben gerade passiert, kommt er sich auf einmal vor wie der glücklichste Junge der Welt. Er umarmt sie, vielleicht ein bisschen zu fest, denn sie sträubt sich. Da will er sie noch fester halten, aber er unterdrückt den Drang und lässt sie los. Sie lächelt ihn an.
    »EA … Was heißt das überhaupt?«, fragt sie.
    »Das ist ein alter Ausdruck aus dem Militär oder so«, sagt Connor. »EA steht für ›eigenmächtig abwesend‹.«
    Ariana denkt darüber nach und grinst. »Hmmm, vielleicht eher für ›einfach abhauen‹.«
    Connor nimmt ihre Hand und bemüht sich sehr, sie nicht zu fest zu drücken. Sie hat gesagt, sie würde mit ihm gehen, wenn er sie fragt. Erst jetzt merkt er, dass er das eigentlich noch gar nicht getan hat.
    »Willst du mit mir kommen, Ariana?«
    Ariana nickt lächelnd: »Ja, klar will ich.«
    Arianas Eltern mögen Connor
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