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Die Angst spielt mit

Die Angst spielt mit

Titel: Die Angst spielt mit
Autoren: Elise Title
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PROLOG
    D er stille, gebrechliche Parker Anderson war nervös, erregt und besorgt zur gleichen Zeit.
Vierundvierzig Jahre.
Er fragte sich, ob das ein Rekord war, und lachte leise vor sich hin.
Alle haben gesagt, ich würde es nie schaffen. Alle anderen haben aufgegeben. Keiner hat daran geglaubt. Aber ich habe nie zu glauben aufgehört. Ich wusste es! Ich wusste …
    “Zeit für unser Säftchen, Mr. A.”
    Parker blickte von dem Stapel Blätter auf seinem Schreibpult hoch und schenkte der kecken blonden Pflegerin in der offenen Tür ein bedauerndes Lächeln. “Dieses Zeug schmeckt wie Gift, Kelly.” Er schob die Papiere in einen braunen Umschlag, bevor er seinen Rollstuhl in ihre Richtung drehte.
    “Oh, so schlimm ist es nicht”, erwiderte Kelly fröhlich und wusste, dass Mr. Anderson nicht allzu viel Theater machen würde. Von allen Bewohnern des Thornhill-Cove-Altenheims, die medizinische Betreuung brauchten, war der zweiundachtzigjährige Parker Anderson einer der kooperativsten. Obwohl sie in den letzten Wochen festgestellt hatte, dass er irgendwie erregt und übervorsichtig war. Wie er zum Beispiel jetzt hastig diese zerknitterten Papiere wegsteckte, als fürchtete er, sie könne tatsächlich so interessiert sein, dass sie einen Blick darauf warf.
    Kelly ging über den pfirsichfarbenen Teppich des Einbettzimmers zu der Klimaanlage unter dem Fenster und stellte sie eine Stufe tiefer. Danach regelte sie die hellblauen Jalousien so, dass die Sonne nicht in den Raum brennen und die farbenfrohe Einrichtung ausbleichen konnte. Sie warf einen Blick auf den üppigen, gepflegten Rasen hinaus, der einem smaragdgrünen Teppich ähnelte, ausgenommen an der Stelle, wo der Schatten des Uhrturms des Dorchester Colleges auf die Wiese fiel.
    Sie drehte sich um und warf ihrem Pflegebefohlenen einen unnachgiebigen Blick zu. “Wir dürfen nicht mit der Klimaanlage herumspielen, Mr. A. Wir wollen uns doch keine Erkältung einfangen. Es sind draußen jetzt schon fast dreißig Grad, und Willard Scott sagt, es wird am Nachmittag noch heißer. Sie wollen doch nicht von Eiseskälte in Gluthitze kommen, wenn Bertie Sanborn Sie nach dem Mittagessen zum Spaziergang abholt.”
    “Bertie Sanborn?”
    “Ach, haben Sie die neue Helferin noch nicht kennengelernt? Bertie kam gestern an Bord. Eine ganz süße Lady, Mr. A. Sie werden sie mögen. Alle unsere Bewohner sind von ihr begeistert.”
    Parker, der seine goldene Taschenuhr aus seiner Weste hervorgeholt hatte, hörte nur halb zu. “Sagen Sie, Kelly, es ist schon fast zehn. War die Post noch nicht da?”
    “Also … ja, Mr. A. Ich fürchte, heute war nichts für Sie dabei. Vielleicht morgen”, fügte sie hinzu und zwang einen hoffnungsvollen Ton in ihre Stimme, als sie die Enttäuschung auf dem Gesicht des alten Mannes sah.
    Mr. A. tat ihr leid. Seit sie hier vor drei Jahren zu arbeiten begonnen hatte, hatte Mr. A. Hunderte von Briefen geschrieben, aber nur selten eine Antwort bekommen. Und was er per Post erhielt, war ein Rätsel. Zeitungen aus allen Ecken des Landes. Nicht einmal Großstadtzeitungen, sondern Lokalzeitungen in der Art wie der
Tab
von Thornhill, volkstümliche Zeitungen, die hauptsächlich über Kleinstadtleben berichteten. Kelly vermutete, dass Mr. A. einmal an allen diesen Orten gelebt hatte und sich auf dem Laufenden halten wollte. Ohne nennenswerte Besucher und mit nur ein paar Freunden in Thornhill Cove, waren seine Briefe und die Zeitungen alles, womit Parker Anderson die Zeit totschlagen konnte.
    Kelly holte die fast neue Flasche Eisensirup aus dem Nachtschränkchen des alten Mannes. Bis vor Kurzem hatte man es ihm überlassen, täglich zweimal seine Dosis zu nehmen, doch ein routinemäßiger Bluttest vor ein paar Wochen hatte einen niedrigen Eisengehalt ergeben. Dr. Bright vermutete, dass Mr. Anderson seinen Saft vergaß, und schlug vor, eine Schwester solle das Einnehmen überwachen.
    “Ich verstehe nicht, wieso die Pharmafirmen nichts gegen den schlechten Geschmack von diesem Zeug machen können”, klagte Parker, während er zusah, wie sie mit dem Verschluss kämpfte. “Muss ich …?”
    “Aber, aber, Mr. A., haben wir nicht das ganze Wochenende darüber geklagt, dass wir ein wenig unter dem Wetter leiden?”
    Parker lächelte. “Haben Sie auch unter dem Wetter gelitten, Schwester Brown?”, neckte er sie.
    “Verzögerungstaktik, Mr. A. Außerdem sehen Sie heute Vormittag noch immer ein wenig leidend aus.”
    “Ich habe nicht gut geschlafen”, gab
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